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160. From Fritz Haber
Berlin-Dahlem Faradayweg 4–6. 28. Juni 21.
Vertraulich!
Lieber Einstein!
Sie haben mir gegenüber wiederholt so viel Interesse und gute Meinung für den
Präsidenten Warburg zum Ausdruck
gebracht,[1]
daß ich es für erlaubt halte, Sie in
seinem Interesse in Anspruch zu nehmen. Um es kurz zu sagen, fühlt sich Warburg
mit seinen 75 Jahren noch völlig frisch und arbeitsfähig, hat aber Bedenken in sei-
nem Staatsamte auf unbestimmte Zeit zu verbleiben, da rings um ihn herum die
Menschen mit 68 Jahren aus dem Amte gehen. Sein Sinn ist darauf gestellt, sich
pensionieren zu lassen und zugleich eine Tätigkeit für die Industrie zu überneh-
men, deren Erträgnis zusammen mit der Pension zu seinem Unterhalte dient.
Einen Mann von 75 Jahren mit einer Tätigkeit betrauen, bedeutet von seiten der
Industrie einen nicht leichten Entschluß. Es geht ganz gegen ihre Tradition, die auf
die Anstellung von Menschen gerichtet ist, die man auf lange Zeit hinaus zu ver-
wenden rechnen kann. Der natürlichste Posten für ihn, bei dem dieser Gesichts-
punkt durchaus wegfällt, wäre der eines Aufsichtsrates. Aufsichtsratsposten
werden gemeinhin nur vergeben an Leute, die durch ihre Person die Verbindung
mit grossen anderen wirtschaftlichen Unternehmungen herstellen oder sonst
Beziehungen an einer für das Unternehmen wichtigen Stelle besitzen. Bei ihnen
wird nicht auf die Arbeitskraft, sondern nur auf die Beziehungen des Mannes
gerechnet und da diese Beziehungen mit den Jahren wachsen, so ist hier das Alter
kein Hemmnis, sondern ein Vorteil. Infolgedessen käme dies in erster Linie in
Betracht. Ich muss aber sagen, dass nach meinem Gefühl nur ein aussergewöhnlich
glücklicher Zufall oder ein besonderes Interesse persönlicher Art zu dieser besten
Lösung führen kann, weil der Präsident Warburg die Beziehungen zu den massge-
blichen Leuten in der physikalischen Industrie nach der persönlichen Hinsicht
während seines Lebens nicht genug gepflegt hat und er von seiten der Menschen,
die in Betracht kommen, wenn ich es recht auffasse, im allgemeinen nicht für den
Träger geschäftlich wichtiger persönlicher Beziehungen angesehen wird. Als mög-
liche Ausnahme kommt hier Koppel in
Betracht,[2]
der mit der Familie Warburg
besonderen Zusammenhang hat. Herr Koppel hat immer früher alte Generale in
seinem Aufsichtsrat genommen. Vielleicht interessiert ihn jetzt, wo die Generale
ausser Mode geraten sind, Herr Warburg. Aber die Sache ist unsicher.
Kommt ein Aufsichtsratsposten nicht in Betracht, so ist das wesentliche, ein Ar-
rangement zu finden, bei welchem eine der physikalischen Firmen oder deren meh-
rere ihm eine beratende Tätigkeit geben und da wäre es besonders günstig, wenn
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