1 1 2 D O C U M E N T 3 3 J A N U A R Y 1 9 2 2 33. From Charlotte Weigert[1] Kopenhagen, Westend 4 II, d. 22. I. 22 Sehr geehrter, lieber Herr Albert Einstein! Wenn ich Ihnen erst heute diese Worte schreibe n , so bitte ich Sie das mit be- sonders viel Arbeit, gesundheitlicher Schwäche und grosser Erregung über das Schicksal des besten Freundes, zu entschuldigen! Nehmen Sie warmen Dank für Ihren Brief und die durch Helene Katz[2] gesandte Empfehlung an Prof. Krogh.[3] Auch möchte ich Ihnen sagen, daß, auch ohne die letztere, ich Ihre ablehnende Hal- tung meiner Bitte wegen Niels Bohr, nicht nur respectieren mußte, sondern voll verstehe! Ja, ich bin Ihnen dankbar, da die Empfehlung an Prof. K. direct, vollkom- men genügte, daß ich nicht an einer solchen Handlung mit Schuld geworden bin! Ihr Grundsatz lautet ja wohl nur, daß man keinen schöpferischen Menschen stören darf, wenn es nicht unbedingt notwendig ist, d. h. wenn nicht ein anderen Schöpfe- rischer, dem unbedingt geholfen werden müßte und könnte! dadurch vielleicht der Wissenschaft und Menschheit verloren geht! Ein solcher Fall liegt bei meinem Freunde vor, aber die Instanz, die davon eventuell helfen kann, ist nicht Bohr, son- dern Krogh, daher wäre Bohr als Vermittlung zu Krogh, also unnötig gestört wor- den! In meiner verzweifelten Stimmung und da Frau Elsa, die Situation Bohrs und Ihre Stellung dazu wohl nicht ganz kannte u. bei Gelegenheit mir gegenüber die Möglichkeit dieses Weges gut hieß, kam ich dann dazu Sie darum zu bitten! Prof. K. war ganz ergriffen von meines Freundes (Prof. Tschachotin)[4] Schicksal und Leistungen, die er teilweise kennt und bewundert, und versprach alles zu versu- chen, nur sind die Chancen im kleinen Dänemark nicht groß! Er wollte sich auch mit Schweden in Verbindung setzen. Sollte alles nichts nützen, und es sich wirklich um „Sein oder Nichtsein“ handeln, dann würde ich die Verantwortung überneh- men, eventuell Sie, verehrter Hr. Albert Einstein, um Rat und Hilfe zu bitten! Aber nicht nur Ihrer Mahnung eingedenk, sondern aus wirkliches Demut vor Ihrer gros- sen Erd-Mission, würde das nur in höchster Not geschehen, wenn alles versagt! Denn, hier liegt das Wesentliche, wie auch Prof. Krogh verstand, es handelt sich nicht um einen der vielen tausend unglücklichen Schiffbrüchigen, die besonders aus Rußland kommen, sondern um ein schöpferisches Genie dessen Untergang ein großer Verlust für Wissenschaft und Menschheit wäre. Erlauben Sie mir heute nur das eine zu erzählen: Als Prof. Tschachotin, vor 13 Jahren, bei dem Erdbeben von Messina lebendig und hoffnungslos begraben wurde und sich durch eigene, rätsel- hafte Energie, nach abendenlangem Kampfe rettete,[5] schrieb eine Reihe bekann- ten Physiologen, darunter auch deutsche Professoren. er mußte leben, weil die Wissenschaft viel von ihm erwartete, und sie sammelten Geld zu einem kostbaren