450 DOCUMENT 317 IN MEMORIAM RATHENAU In memoriam Walther Rathenau 815 Meine Gefühle für Rathenau waren und sind die freudiger Ver- ehrung und der Dankbarkeit dafür, daß er mir im jetzigen düsteren Zustand Europas Hoffnung und Trost gab, und daß er als hell sehender und warm fühlender Mensch mir unvergeßliche Stunden [1] schenkte. Seine Ubersicht über die großen wirtschaftlichen Zusammen- hänge, sein psychologisches Verständnis für die Eigenart der Nationen, für alle Kreise des Volkes, seine Kenntnis der einzelnen Menschen war bewundernswert. Und er liebte alle, trotzdem er sie kannte, wie einer, der die Kraft hat, dies Leben zu bejahen. Eine köstliche Mischung von Ernst und echt Berliner Humor machte seine Rede zu einem einzigartigen Genuß, wenn er in der Tafelrunde unter Freunden plauderte. Es ist keine Kunst, Idealist zu sein, wenn man in Wolken- kuckucksheim wohnt er aber war ein Idealist, trotzdem er auf der Erde wohnte und deren Geruch kannte wie selten einer. Ich bedauerte, daß er Minister wurde. Bei der Haltung, die ein großer Teil der gebildeten Schicht Deutschlands gegen die Juden ein- nimmt, wäre nach meiner Uberzeugung stolze Zurückhaltung der