4 7 2 D O C U M E N T 3 2 6 A U G U S T 1 9 2 2 326. From Helene Stöcker[1] Nikolassee-Berlin, Münchowstr. 1, 14. August 1922 Verehrter Herr Professor Einstein! Ich komme soeben aus England zurück, wo ich u.a. am internationalen Pazifi- stenkongress und den „Nie wieder Krieg“ Demonstrationen teilgenommen und in London, York und Glasgow auch gesprochen habe.[2] Ich hatte Gelegenheit Herrn Brailsford eingehender zu sprechen, der vom Herbst an den „Labour Leader“ herausgeben wird.[3] Wir sprachen über die Möglichkeiten, der übrigen Welt die unendlich schwieri- ge wirtschaftliche Situation Deutschlands zum Bewusstsein zu bringen. Brailsford und ich kamen überein, dass kein Politiker, auch der Reichskanzler[4] nicht, so gehört werden würde, dass keine Stimme solche Berücksichtigung finden würde, wie die Ihre, der man die dazu notwendige Objektivität zweifellos zutrauen würde. Brailsford, bat mich daher, im Interesse gerade des deutschen Volkes, mit Ihnen darüber zu sprechen und evtl. in Form eines Interviews oder eines Artikels von Ihnen diese Beleuchtung der heutigen verzweifelten wirtschaftlichen Lage ein- fach an Hand der heutigen Lebensmittelpreise und sonstigen Verhältnisse, auch ge- rade für geistige Menschen—oder in Form eines Artikels—ihm die Möglichkeit geben, die Aufmerksamkeit der Welt auf diese hoffnungslose Lage zu lenken. Brailsford und ich waren beide der Ueberzeugung, dass Sie, verehrter Herr Pro- fessor, sicherlich dazu bereit wären, wenn Sie das Bewusstsein hätten, dadurch zur Besserung der so ausserordentlich traurigen Verhältnisse und zum besseren gegen- seitigen Verständnis der Völker beizutragen. Ich übersende Ihnen daher den Brief von Brailsford[5] und werde mir erlauben, einmal anzurufen, ob Sie vielleicht in Form eines Interviews oder in Form eines Ar- tikels unsere gemeinsame Bitte erfüllen können. In der Hoffnung, dass es Ihnen persönlich gut geht und dass Sie in der Lage sind in dieser Richtung etwas zu unternehmen, bin ich mit verbindlichsten Grüssen Ihre sehr ergebene Helene Stöcker TLS. [45 076]. Written on letterhead Die neue Generation. The letter is addressed “Herrn Professor Dr. Albert Einstein W. 30. Haberlandstr. 5.” [1]Stöcker (1869–1943) was a member of several peace organizations, including the Deutsche Liga für Menschenrechte (earlier Bund “Neues Vaterland”), and editor of the monthly magazine Die neue Generation (see Vol. 9, Doc. 20 [Helene Stöcker to Einstein, 9 April 1919], note 1). [2]In cooperation with foreign veterans’ organizations, the campaign “Nie wieder Krieg” was launched by the Friedensbund der Kriegsteilnehmer, founded by Carl von Ossietzky in 1919 (see Deák 1968, p. 56). The demonstrations took place annually on 30 July, the anniversary of the outbreak of World War I. The 1922 demonstrations were held on 29 and 30 July in the United States and in