D O C U M E N T 3 4 8 S E P T E M B E R 1 9 2 2 5 0 3 bahn scheuen müssen. Der überwiegende Teil der Studenten ist in so hohem Masse auf Geldverdienen angewiesen, dass das Studieren von ihnen nur als Nebenbe- schäftigung betrieben werden kann. Bezüglich der Lehrer gilt das oben über ange- stellte geistige Arbeiter überhaupt Gesagte. (3) Es ist mir bekannt, dass über Nachlassen der Arbeitskraft der Hand- und Kopf-Arbeiter allgemein geklagt wird, aber ich halte mich nicht für kompetent, darüber zu entscheiden, in wieweit dies von Unterernährung bezw. Nahrungssor- gen oder von eigentlich psychologischen Faktoren herrührt. Ohne Zweifel übt nämlich das Bewusstsein einen lähmenden Einfluss aus, dass es unter den obwal- tenden Verhältnissen unmöglich ist, für die Zukunft zu sorgen, und zwar einerseits wegen der Unzuverlässigkeit des Geldwertes, andererseits wegen der ausserordent- lich grossen und stets wachsenden Steuerlast.[6] 4) Es ist Tatsache, dass viele der politischen Morde von Leuten begangen sind, die durch die Verhältnisse ihre wirtschaftliche Existenz verloren haben, aber ich wage nicht, darüber zu entscheiden, ob die Ungunst der wirtschaftlichen Verhält- nisse allein für den beklagenswerten Verfall der politischen Moral verantwortlich zu machen ist. Die politische Intoleranz der Anhänger des alten Regimes lässt sich gewiss zum Teil durch die Tradition erklären.[7] 5) Es muss zugestanden werden, dass die Politik der Verbündeten die Schwie- rigkeiten der republikanischen Regierung erheblich vergrössert hat, indem sie ins- besondere durch wiederholte jedermann erkennbare Demütigungen das Ansehen dieser Regierung untergraben hat. Ferner weiss hier jedermann, dass die dem Land auferlegten Zahlungsverpflichtungen bei noch so grosser Anstrengung nicht in der festgesetzten Höhe erfüllbar sind.[8] Daraus entsteht die Ueberzeugung, dass das Bemühen aussichtslos sei, auf legalem Wege sich aus der bestehenden Zwangslage herauszuarbeiten. Dies wirkt lähmend auf das Wirtschaftsleben und treibt die Men- schen zur Steuerflucht und zu Bemühungen, ihr Kapital aus dem Lande zu ziehen.[9] 6) Selbst wenn man zugibt, dass eine Stabilisierung der Mark gewisse momen- tane Schwierigkeiten mit sich bringen könnte, scheint es doch nicht zweifelhaft zu sein, dass eine Stabilisierung unter allen Umständen und in möglichst kurzer Zeit erstrebt werden muss, weil ohne eine solche Stabilisierung unmöglich genügend stabile Wirtschaftsverhältnisse zu erreichen sind. Eine Zuziehung deutscher Staats- männer und Sachverständiger bei Beratungen über die internationalen wirtschaft- lichen Zusammenhänge wäre ohne Zweifel erwünscht, wenn nicht geradezu notwendig. 7) Ihre letzte Frage kann ich nur als Laie beantworten, dazu mit dem Gefühl er- heblicher Unsicherheit. Zu meinem Leidwesen muss ich gestehen, dass ich keinen Weg sehe, auf dem die Hoffnung auf persönlichen Gewinn und die Furcht vor Man- gel und Not als Triebfedern produktiver wirtschaftlicher Arbeit ersetzt werden
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