D O C . 3 7 9 T R A V E L D I A R Y O C T O B E R 1 9 2 2 5 3 7 Wolkenbruch, sodass das Schiff halten musste. Als es sich um 9 Uhr aufhellte, zeigt es sich dass wir dem Hafen nahe waren. Ein Lotse kam im Ruderschiff heran und bald landeten wir neben einem andern japanischen Dampfer. Wir sahen hier zum ersten Mal einen älteren Inder, feines vornehmes Gesicht mit grauem Bart, der uns ein zwei Telegramme brachte und—um Trinkgeld flehte. Noch andere Inder sa- hen wir, braune bis schwarze sehnige Gestalten mit ausdrucksvollem Gesicht und Körper und ergebenen Wesen. Sie sehen aus wie in Bettler verwandelte Edelleute. Unaussprechlich viel stolzes und Deprimierendes ist da vereinigt. Heute Morgen um 7 Uhr setzten wir aufs Land über und besahen uns mit Ehe- paar Du Plâtre zusammen das Hindu-Viertel von Colombo und einen buddistischen Tempel.[18] Wir fuhren in einzelnen Wägelchen, die von herkulischen und doch so feinen Menschen im Laufschritt gezogen wurden. Ich habe mich sehr geschämt an einer so abscheulichen Menschenbehandlung mitschuldig zu sein, konnte aber nichts ändern. Denn diese Bettler in Königsgestalt stürzen sich scharenweise und auf jeden Fremden, bis er vor ihnen kapituliert hat. Sie verstehen zu flehen und zu betteln, dass einem das Herz wackelt. Auf den Strassen des Eingeborenen-Viertels sieht man diese feinen Menschen, wie sie ihr primitives Leben verbringen.[19] Sie machen bei aller Feinheit den Eindruck, als wenn das Klima sie verhinderte, mehr als eine Viertelstunde nach rückwärts und vorwärts zu denken. In grossem Dreck und respektablem Gestank hausen sie zu ebener Erde, thun wenig und brauchen wenig. Einfacher wirtschaftlicher Kreislauf des Lebens. Viel zu zusammenge- pfercht, um dem Individuum ein Sonderdasein zu ermöglichen. Halbnackt zeigen sie die feinen und doch kräftigen Leiber und die feinen, geduldigen Gesichter. Nir- gends Geschrei wie bei den Levantinern in Port Said. Keine Brutalität, kein markt- schreierisches Leben, sondern stilles, ergebenes Vor-sich-Hinleben, das einer gewissen Heiterkeit nicht entbehrt. Wenn man diese Menschen recht ansieht, kann man an Europäern kaum mehr Freude haben, weil sie verweichlichter und brutaler sind und so viel roher und Begehrender aussehen—und darauf beruht leider ihre praktische Überlegenheit, ihre Fähigkeit, grosse Dinge in Angriff zu nehmen und durchzuführen. Ob wir in diesem Klima nicht auch so würden wie die Inder? Im Hafen lebhaftes Treiben. Herkulische Arbeiter mit leuchtend schwarzen Lei- bern besorgen die Ladung. Taucher produzieren sich in ihren halsbrecherischen Künsten. Immer dieses Lächeln und Sich-Hingeben für das schnöde Geld und satte Menschen, die gemein genug sind, um sich dessen freuen zu können. Um 12½ Uhr fuhren wir los, in die regnerische Wasserwüste hinaus. Ceylon ist ein Pflanzenpa- radies und doch ein Schauplatz jammervollen Menschendaseins 31. Gestern war Geburtstag des Mikado.[20] Feier auf oberem Deck am Vormit- tag. Bansay und Absingen der Nationalhymne, die reichlich fremdartig klingt und sonderbar gegliedert ist.[21] Japaner sehr andächtig. Unheimliche Kerle, denen der [p. 7] [p. 7v] [p. 8]