5 3 8 D O C . 3 7 9 T R A V E L D I A R Y N O V E M B E R 1 9 2 2 Staat zugleich Religion ist. Wetter klarer. Fahrt längs der Küste zuerst von Sumatra, jetzt längs des Festlandes. Interessante Brechungserscheinung am Rand des Hori- zontes, durch Temperatur bezw. Feuchtigkeitsgradienten Schiffe scheinen in der Luft zu schwimmen, ebenso fernes Ufer. Gestern Abend freiwillige Vorstellung der Japaner. Ein Mann sang und deklamierte wie ein Kater, dem man auf den Schwanz tritt, dazu entlockte er aus einem guitarre-ähnlichen Instrument mit einem Brett- chen mit wilder Gebärde von Zeit zu Zeit einen Ton, der mit dem Sing-Sang nichts zu thun zu haben schien.[22] Schlanker vornehmer junger Japaner (Botaniker) macht erstaunliche Zauberkunststücke, hauptsächlich mit drei roten Kugeln, die er verschwinden und wieder auftauchen lässt. Gestern Navigations-Instrumente gese- hen und Methoden kennen gelernt, die bei Ortsbestimmung üblich sind. Kompas ganz primitiv, mit ausbalanz. Trägheitsmoment. Sextant, Uhr. Geschwindigkeits- messer, dessen Propeller an langer Leine nachgezogen wird. Morgen Früh Singa- pore. Frau Ishii entpuppt sich als Tante von Sakumas junger Braut.[23] Wetter wird heller. 2. November. 7 Uhr morgens durch enge Passage zwischen kleinen grünen In- seln hindurch Ankunft im Hafen von Colombo Singapore. Wir wurden dort von Zionisten erwartet und freundlich begrüsst. Herr und Frau Montor (er Bruder des Hamburger Schauspielers, selbst mit schauspielerischer Begabung, sie nach ächter Wienerart, aber in Singapore aufgewachsen) brachten uns in ihr geräumiges Wohnhaus.[24] Fahrt durch den wundervollen zoologischen Garten und durch ver- schiedene Viertel der Stadt bei gutem, nicht zu warmem Wetter. Ich erfuhr, dass der unermüdliche Weizmann beschlossen hatte, meine Reise zionistisch zu ver- werten.[25] Im Hause angelangt musste ich sogleich eine Antwort auf eine Begrüs- sungs-Adresse verfassen, die Herr Montor mit einem Freunde im Dienste Auftrag des zionistischen Vereins Singapore verfasst hatte. Die Adresse, welche mir am Nachmittag feierlich überreicht werden sollte, war auf Seide und in kostbarem Sil- berfutteral (Siamesische Reliefarbeit), inhaltlich recht geschickt, nur garzu dick aufgetragen und—wie deren Vater selbst schmunzelnd mitteilte—mit Hilfe von Meyers Convers. Lexikon gebraut.[26] Um 11 Uhr kam ein Journalist dazu, und ich musste Herrn Montor, seinem Freunde und dem Zeitungsmann unter anderm die Käfer-Geschichte vom sphärischen Raum erzählen. Nach dem prächtigen Mittag- essen brachten uns unsere freundlichen Wirte ins Gastzimmer, wo wir unter Mosquito-Käfig schlafen durften. Nebenan war Waschraum mit Closetkübeln und grossem Wascheimer. Else grauste es sehr, mir auch ein bischen wegen dieser un- gewohnten Einrichtungen. Gut ausgeruht fuhren wir um 4 Uhr mit Montors Auto zu Meyer, dem jüdischen Krösus von Singapore.[27] Sein palastartiges Haus mit maurisch anmutenden Hallen liegt auf der Spitze eines Hügels mit Sicht auf Stadt und Meer, unmittelbar darunter eine prunkvolle Synagoge, welche im Wesentli- [p. 8v] [p. 9]