D O C . 3 7 9 T R A V E L D I A R Y N O V E M B E R 1 9 2 2 5 3 9 chen eigens für den Verkehr zwischen Krösus und Jehovah von ersterem gebaut war. Krösus ist ein noch recht aufrechter, schlanker willensstarker Greis von 81 Jahren Graues Spitzbärtchen, schmales rötliches Gesicht, jüdische gebogene schmale Nase, kluge, etwas schlaue Augen, ein schwarzes Käppchen auf der wohl- gewölbten Stirn.[28] Ahnlich wie Lorentz, nur dass dessen glänzende, wohlwollen- de Augen durch vorsichtig-schlaue ersetzt sind und der Gesichtsausdruck mehr von schematischer Ordnung und Arbeit als—wie bei Lorentz—von Menschenliebe und Gemeinsinn spricht.[29] Es war die Festung, welche ich nach Weizmanns Absicht zugunsten der Jerusalemer Universität einnehmen sollte. Seine Tochter, schmales schwarzes blasses adliges Gesicht ist eine der feinsten jüdischen Frauengestalten welche ich gesehen habe Sie beweist Wenn man sie ansieht, ist man versucht, den Scherz vom „ältesten Adel“ ernst zu nehmen.[30] Als wir nun da oben ankamen, gings zuerst ans Photographieren. Krösus neben mir, herum seine Familie und viel jüdische Ehepaare, Gruppenbild.[31] Nach die- sem enorm wichtigen Akt gings in eine orientalische grosse Erfrischungshalle. Ma- layische Kapelle spielte Wienerisches und Negerisches in europäisch-schmalziger Kaffee-Haus-Manier. Ich sass mit Krösus und dem—Erzbischof (nebst Gemahlin), einem ausgekochten, nur englisch sprechenden schlanken grossnäsigen englischen Nobile, der mit Krösus’ Geld nicht ohne Glück liebäugelt, ohne dessen Seele im Geringsten für sich zu beanspruchen.[32] Verzweifelte Sprach-Kalamität mit wohl- schmeckenden Kuchen. Nun brachte uns Montor (Krösus und mich) auf zwei am Saalende vorgesehene erhöhte St[üh]le mit Rednertisch, setzte sich daneben, liess mit überzeugender Stimme seine Adresse von Stapel, meine wohlübersetzte Ant- wort in der sicheren Tasche. Ich antwortete frei, wobei er Notizen simulierte, um dann darauf meine morgens redigierte und von ihm und seinem Freunde übersetzte Antwort zu verlesen, die er als improvisierte Übersetzung meiner freien Ansprache ausgab, der Schlaumeier. Dann unendliches Händeschütteln, an Amerika erin- nernd. Aechte Herzlichkeit bei den Juden überall. Als ich schon ganz seekrank da- von war und die Sonne sich verkrochen hatte, fuhren wir schnell nachhause, wo ich einen kleinen Stoss Albümer mit Autographen versehen musste. Dann fuhren wir durch das Chinesenviertel (ungeheures Gewusel, aber die Zeit reichte nicht zum Sehen sondern nur zum Riechen) zu Krösus’ Abendessen, einer pompösen Mahl- zeit in offener Halle für etwa 80 Menschen. Die Mahlzeit war deftig und ohne En- de. Ich musste endlich aufstehen, weil ich Speisen nicht einmal mehr sehen, geschweige denn essen konnte. Nun kam die bewusste Kapelle wieder und negerte lustig drauf los, Der Alte und alles tanzte. Dies verschmähte sogar Krösus nicht, nachdem er gezeigt hatte, dass sein 80-jähriger Magen noch gewaltig leistungsfä- hig war. Endlich fand das wohlgeplante, von Weizmann veranlasste Attentat auf Krösus statt (wegen Beitrag zu Jerusalemer Universität), von dem ich trotz vieler [p. 9v] [p. 10] [p. 10v]