7 4 4 D O C U M E N T 4 5 2 M A R C H 1 9 2 3 Willen öffentlich abzusprechen für nötig gehalten hast. Den Einwand, dass der V. B.[3] ein viel zu wenig zentralisiertes Gebilde ist, als dass man ihm überhaupt einen Willen zuschreiben könnte, hast Du Dir natürlich selber gemacht Doch höre ich Dich antworten „darauf kommt es nicht an, was ich meine ist dennoch klar“ etwa: „das Mass der Dummheiten, die man gegen dieses Land aufgebracht hat, ist zu gross. Es wird sich eben, irgend wie, selbst wehren müssen ich will auch nicht das Geringste beitragen an den Hemmnissen, die ihm dabei die Anderen in den Weg zu legen suchen müssen, sobald sie es eben nicht fertig bringen. In diesem Sinne werfe ich mein Gewichtchen in die Wagschale: „victrix causa diis placuit sed victa Catoni.“[4] Möge dabei keine Verzerrung der photographischen Platte—wo es auch auf cm. ankommt!—vorgegangen sein [5] und keine der Kautelen vergessen worden sein, die zur Kontrolle mittelst anderweitigen „Versuchsresultaten“ erfor- derlich sind. Vielleicht, wenn Du wieder näher bei den einen bist, werden Dir die anderen (wieder) weniger schlecht gefallen. Und das langsame Sich-heran-winden der Amerikaner, durch alle inneren Schwierigkeiten hindurch,[6] wird Dir wieder mehr Zuversicht geben in dieses Wesen, dem Alb. Thomas vom Arbeitsamt und Lord Robert Cecil angehören.[7] Was mögen wohl die nächsten Monate bringen?? Mit herzlichem Gruss Dein Michele. Facta infecta fieri nequeunt[8] —nur der Übersicht halber füge ich also noch hin- zu, dass dein Entschluss im Sinne einer Schwächung der Stellung des schw. Staates (zu Gunsten einer unselbstständigen Sozialdemocratie, des „Bundes für Unabhän- gigkeit d. Schweiz“ und ähnlicher zweifelhafter Gebilde) ausgenützt wird.[9] Ob es gänzlich gleichgültig ist für die internat. Stellung der Judenschaft, und ob dem vielleicht eine Verbesserung in einzelnen Ländern gegenübersteht, kann ich hingegen nicht übersehen. Aber die Hauptsache sind natürlich nicht die zunächst obenauf kommenden Fol- gen, sondern die innerliche Begründetheit: und über diese habe ich oben meinen Zweifel ausgedrückt. Nochmals Dein M. Wer allerdings den—Mitte März 1923—erscheinenden Bericht von Gonzague de Reynold[10] über die Sitzungen—vom August 1922!—liest, der begreift schon besser, warum es Dich in dieser Gesellschaft nicht sehr heimisch berührt hat an- geheimelt hat. Geduld! hätte ich Dir wohl gesagt, wenn Du mir darüber geklagt hät- test. Nun sage ich mir: Geduld!—liebenswürdig erscheint uns die Welt allerdings nicht, weder hüben noch drüben. 10 4–