9 2 D O C U M E N T 5 4 J U N E 1 9 2 3 54. From Emil Zürcher Zürich, 2 Juni 1923. Hochverehrter Herr Professor, Frau M. Einstein frägt mich in grosser Bestürzung, in welcher Lage sie nach Ih- rem für sie furchtbar vorwurfsvollen Briefe sei.[1] Sie glaubt, es sei keine Zudring- lichkeit, wenn ich ihrer Bitte folgend an Sie schreibe. Ich möchte das aber nur tun, wenn ich so schreiben darf, wie wenn ich irgend einen historischen, entfernten Fall trocken juristisch beurteilen müsste, dessen in- nere Motive ich nicht kenne. 1. der Richter, der eine Scheidung ausspricht, ist verpflichtet, für den bedürfti- gen geschiedenen Ehegatten & die Kinder Vorsorgen zu treffen. Er kann das tun, indem er einen ihm vorgelegten Vertrag auf seine materielle Richtigkeit prüft und dann zum Bestandteile seines Urteils erhebt. Damit ist nach dem Gedanken des Zi- vilgesetzgebers die Regelung der im Vertrag geordneten Dinge der Abänderung durch die Parteien entzogen. nach Art.157 des Zivilgesetzbuches hat, sofern der Vertrag den Unterhalt der Kinder regelt, der Richter die Abänderung des Vertrages vorzunehmen, wenn einer der geschiedenen Parteien es beantragt und wenn die ge- änderten Verhältnisse nach Ansicht der Richters eine solche Abänderung notwen- dig machen. 2.) der Vertrag sagt in Ziff. 4, dass das Kapital des Nobelpreises durch Ihren vor- ragenden Willen & Ihre Entscheidung den Kindern in dem Sinne reserviert sein werde, dass die Mutter ¢die Zinsen² zwar die Zinsen zu ihrem & der Kinder Unter- halt bezieht & dass sie als Eigentümerin des Kapitals erscheint, das Kapital aber nach ihrem Tode oder ihrer Wiederverheiratung an die Kinder falle.[2] Die Verwal- tung für die Zeit, da die Kinder noch nicht Eigentümer des Kapitals sind, steht den Eltern zu die Mutter darf aber nicht ohne Zustimmung des Vaters irgend eine Dis- position treffen, dem Vater steht die Bestimmung, dass das Kapital auf einer schweizerischen Bank deponiert werden soll, entgegen, ferner muss die Mutter weil sie nach dem Vertrage Eigentümerin ist, ihre Zustimmung zu Verwaltungsdis- position geben. Nun steht Frau Einstein vor einer schweren Frage: Wenn sie in eine Abänderung des Vertrages (Depot in New York) einwilligt und wenn die New Yorker Bank[3] zahlungsunfähig wird (sie ist ja keine Staatsbank, wie die schweiz. Nationalbank oder eine Kantonalbank) oder sonst Schwierigkeiten macht, wird dann nicht das