1 6 4 D O C U M E N T 9 7 a A U G U S T 1 9 2 3 97a. To Elsa Einstein Schloss Lautrach, Montag [6 August 1923][1] Liebe Else! Die Reise war wieder ächt, alles anders als vorgesehen, aber der Ausgang war immer gut. Der Zug 6h50 hatte nur Schlafwagen und nahm mich nicht mit. Erst 9h45 über Leipzig. Die Reise war angenehm, aber ich kam erst halb zwei Nachmit- tags nach Stuttgart, wo ich zunächst Tete[2] nicht fand. Aber um 2h30 kam wieder ein Zug von Berlin, und es bestätigte sich meine Vermutung, dass Tete mich dann abholen würde, der munter war und gut aussah. Wir fuhren um 5 Uhr nach Ulm, wo wir 7½ ankamen. Wir schliefen im Hotel Russischer Hof, wo ich mich als Adolf Steinthal einlogierte. Das blosse Übernachten kostete 570 000 M.[3] Gestern Mor- gen stiegen wir zuerst auf den Münsterturm.[4] Dann war grosser Empfang bei On- kel Adolf,[5] den ich schon Samstag Abend benachrichtigte. Tante Ricke[6] war wieder schwer leidend, hat sich aber etwas erholt. Nachmittags konnte ich Famili- enkaffe bei Klemele[7] nicht verhindern. Die Geschenke für Marie[8] und erstere habe ich angebracht, bin aber nun ziemlich ohne Geld. Die Gulden musste ich schon in Berlin umwechseln fürs Billet. Die Francs gab ich Marie. Wenn ich nur mehr mitgenommen hätte! Gestern Abend fuhren wir hieher und wurden mit Auto erwartet. Das hier ist wirklich ein Schloss von grosser Pracht und Schönheit (Ba- rock). Albert war da und hat sich ausgezeichnet benommen.[9] Er war die ganze Zeit da, weil ihn Anschütz[10] nicht fortliess, der wirklich in ihn verliebt ist. Kossel ist da, Prof Martin aus München,[11] den ich von Zürich her kenne, eine Lehrerin und einiges junges Volk. Der Himmel ist strahlend ebenso Herr Anschütz. In Buchau waren wir nicht,[12] weil es umständlich gewesen wäre und ich— nicht genug Geld hatte. Telephoniere zugleich an Nernst[13] und frag ihn, ob es einen Zweck hat, wenn ich etwa Freitag über 8 Tagen nach München fahre. Dann komme ich wieder heim, um dann im September wahrscheinlich mit Albert nach Kiel zu gehen. Schicke den Kindern[14] noch Geld sonst kommen sie in grösste Verlegenheit. Bedenke, dass eine Million kaum mehr als 4 Friedensmark bedeutet.[15] Man merkt es, wenn man reist! Mit Paul Moos[16] war ich eine Stunde in Ulm spazieren und hab mich ange- nehm mit ihm unterhalten. Er trägt einen Vollbart und ist überhaupt würdevoll, aber weniger bürgerlich als Alfred, den ich nebst Frau gesehen habe.[17] Die alten Tanten[18] sind gut beisammen trotz allem. Der alte Herr Steiner ist recht leidend. Marie hat eine Dauerstelle als Arbeiterin in einer Zigarettenfabrik und fühlt sich recht zufrieden.