2 9 4 D O C U M E N T 1 8 1 D E C E M B E R 1 9 2 3 181. To Marie Curie-Sk¤odowska [Berlin,] 25. XII. 23. Verehrte Frau Curie! Finden Sie es nicht banal, wenn ich bei Gelegenheit eines äusseren Anlasses an Sie schreibe![1] Es ist nur die Auslösung, das Bedürfnis hatte ich lange. Es ist eine Freude, einem aufrechten Menschen die Hand zu drücken, der auf so fruchtbare Arbeit zurücksehen kann und so reiche Ernte erleben durfte. Gnädig und trotzig zu- gleich als Mensch, so liebe ich Sie und freue mich, dass es mir vergönnt war in Ta- gen ruhigen Zusammenseins in Ihr Inneres zu schauen, wo alles zuerst im Stillen gekocht wird. Ich weiss, Sie haben sich mit Recht über mich geärgert, als ich aus der Völker- bunds-Kommission mit bitterem Kommentar austrat,[2] nachdem ich Ihnen kaum ein halbes Jahr vorher geraten hatte, an der Arbeit der Kommission teilzu- nehmen.[3] Aber es geschah nicht aus schlechten Motiven, auch nicht aus Schwä- che für Deutschland, sondern wirklich aus der Überzeugung heraus, dass der Völkerbund (nicht die Kommission, der ich angehören sollte) unter dem Deckman- tel der Objektivität, ein gefügiges Werkzeug der Machtpolitik gewesen ist. Also wollte ich mit dem Völkerbund nichts zu schaffen haben. Auch dachte ich, dass eine derartige offene Meinungs-Aeusserung der Sache nicht schaden könne. Viel- leicht war dies unrichtig, aber es entsprach meiner Überzeugung. Ferner habe ich gebeten, nicht nach Brüssel eingeladen zu werden.[4] Nicht dass mir die Abneigung der Belgier und Franzosen, mit Deutschen zusammenzutreffen, psychologisch unbegreiflich wäre. Aber wenn ich Gelegenheiten aufsuche, wo die deutschen Gelehrten prinzipiell ausgeschlossen werden, nur wegen ihrer staatli- chen Zugehörigkeit, so billige ich damit eine solche Massregel indirekt. Das entspricht aber ganz und gar nicht meiner Überzeugung. Es ist doch eigentlich ge- bildeter Männer unwürdig, einander nach derartig äusserlichen Gesichtspunkten zu behandeln, wie der gemeine Pöbel, der durch Massensuggestion geleitet wird. Wenn aber diese Welt doch so beschaffen ist, hüben und drüben, dann bleibe ich lieber still auf meiner Bude, als mich draussen über die Menschen zu ärgern, Glau- ben Sie nicht, dass ich die hiesigen für besser halte und die anderen verkenne—das würde auch gar nicht zur Relativitätstheorie passen…. Nun aber genug davon ich würde nicht wagen, so zu poltern, wenn ich Sie nicht als eine trotzige Schwester fühlte, die für solche Gefühle in einem Zipfel ihres Ge- mütes Verständnis hat, und der ich mich immer besonders nahe gefühlt habe[.] Mit einem freundschaftlichen Gruss und herzlichen Wünschen für das neue Jahr Ihr A. Einstein.