6 1 6 D O C U M E N T 4 0 3 D E C E M B E R 1 9 2 4 403. To Mikhail Pokrovsky Berlin, den 21. Dezbr. 1924 Sehr geehrter Herr Professor! Zu meinem lebhaften Bedauern war es mir bisher infolge ausserordentlicher Arbeitsüberhäufung noch nicht möglich, auf Ihr letztes Schreiben in der Angele- genheit der Günzberg-Bibliothek zu antworten.[1] Ich hatte inzwischen aber Gele- genheit, mit der Leitung der Jerusalemer Universitäts-Bibliothek Fühlung zu neh- men, und habe festgestellt, dass die Zahlung einer so hohen Summe, wie die in Ihrem Briefe genannte, für die Jerusalemer Bibliothek, die über ausserordentlich geringe Mittel verfügt, ganz ausserhalb des Bereichs der Möglichkeit liegt.[2] Die Jerusalemer Universitäts-Bibliothek ist jedoch bereit, Ihrem Vorschlage gemäss die Angelegenheit einem dreigliedrigen Schiedsgericht zu unterbreiten, das aus je einem Vertreter der beiden Parteien und einem von beiden Parteien gewählten Vor- sitzenden bestehen soll. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie Herrn Profes- sor A. Winogradov[3] zu Ihrem Vertreter ernannt haben, und habe die Leitung der Jerusalemer Bibliothek ersucht, ihrerseits einen Vertreter zu nominieren. Herr Dr. A. Braudo[4] , den Sie wohl als Vorsitzenden des Schiedsgerichtes in Aussicht ge- nommen haben, ist nun, wie ich höre, leider kürzlich in London gestorben. Es wird unter diesen Umständen wohl das Beste sein, mit der Ernennung des Vorsitzenden zu Warten, bis der Vertreter der Jerusalemer Bibliothek in Moskau eintrifft. In diesem Zusammenhang möchte ich es doch nicht unterlassen, gegenüber ei- nigen in Ihrem letzten Brief enthaltenen Argumenten darauf hinzuweisen, dass es sich bei dieser Angelegenheit nicht um die Entfernung eines russischen Kulturwer- kes handelt, sondern um die durch den Krieg und die darauf folgenden Umstände verzögerte Uebernahme einer bereits seit Jahren in das Eigentum der Jerusalemer Universitäts-Bibliothek übergegangenen Spezialsammlung, die gerade für die be- sonderen kulturellen Aufgaben der Universität von ganz besonderer Bedeutung ist. Es wäre für jeden Kulturmenschen unverständlich, wenn aus der Tatsache der Un- möglichkeit einer früheren Uebernahme der Bibliothek, an der allein der Weltkrieg die Schuld trägt, der Jerusalemer Universität Schwierigkeiten bei der Uebernahme des ihr rechtmässig zustehenden Besitztums gemacht würden—am allerunver- ständlichsten, wenn diese vonseiten der russischen Regierung kämen, deren Inter- esse für die Entwicklung der Kulturen der erwachenden Völker des Ostens bekannt ist. Die Entwicklung der Jerusalemer Universität und ganz besonders ihrer auf die Erforschung des Ostens gerichteten Zweige wird von den Männern der Wissen- schaft und des geistigen Fortschritts in allen Ländern mit wärmstem Interesse ver- folgt. Ich gebe mich vertrauensvoll der Hoffnung hin, dass die russische Regierung
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