D O C . 4 5 5 T R A V E L D I A R Y 6 9 5 In Uruguay fand ich eine ächte Herzlichkeit wie selten in meinem Leben. Ich fand dort Liebe zum eigenen Boden ohne irgend welchen Grössenwahn. Nach der Ankunft mit Rosenblatt und Söhnen von Versicherungs-Haus aus prachtvoller Blick auf Stadt und Hafen. Die Familie sehr herzlich und treuherzig. Er und sie nur jiddisch, die Kinder nur französisch.[71] Prof. Ing. Maggiolo sehr lieber, feiner Mensch, leise und in sich gekehrt, gar nicht amerikanisch. Ing. Castro jüngerer auch netter Mensch mit reizendem rotbac- kigem Söhnchen.[72] 25. Erste Vorlesung mit feierlichem Empfang.[73] Abends mit Maggiolo und Rossenblatts & deutschem Gesandten Traviata von italienischer Truppe. Recht hübsch. 26. (Sonntag) Küsten-Spaziergang mit Bürgermeister. Sehr hübsch, mit Sonnen- Untergang. Geschmackvolles Strandhotel wurde mir gezeigt, von einem Einheimi- schen gebaut. Abends Lohengrin mir zuliebe gespielt. Schwankte zwischen gut und komisch. Liegt nicht nur an der Truppe![74] Zwei Studenten halten immer Wa- che, dass kein Unberufener zu mir kommt. Habe einen rührenden Diener zugeteilt bekommen, mit dem ich mich nur mit den Händen verständigen konnte. Uruguay glückliches Ländchen, nicht nur liebliche Natur mit angenehmem feuchtwarmem Klima sondern auch mit vorbildlichen sozialen Einrichtungen. (Mutter & Kinder-Schutz, Versorgung alter Leute und unehelicher Kinder, 8-Stun- dentag, Ruhetag). Sehr liberal Staat von Kirche ganz getrennt. Verfassung der schweizerischen einigermassen ähnlich.[75] Montevideo architektonisch hübsch im Kolonialstil. 27. Morgens mit Senats-Präsident in Fabrik zur Bearbeitung des einheimischen, sehr schönen und mannigfaltigen Marmors. Sehr gescheiter aber geriebener jünge- rer Mann, der Lugones in der Kommission d. Coop. Int. des V. B. vertreten soll. Maggiolo und Castro sowie einige andere waren auch dabei. Dann Besuch des neu- en, fast vollendeten Regierungsgebäudes. Sehr geschmackvoll in Hochrenaissance von innen, von italienisch-schweizerischem Architekten ausgeführt.[76] Nachmit- tags Besuch bei Präsidenten der Republik und Unterrichtsminister (Auch bei Schweizer-Konsul Guyer, der in Aarau Schüler war) Ersterer interessanter Kopf, letzterer in sehr schönem altspanischem Hause. Dann Vorlesung.[77] Abends Fami- lie Rossenblatt. Drei Söhne, zwei verheiratet und eine nicht hübsche aber gutherzi- ge verlobte Tochter. 28. 6 Uhr Empfang der deutschen Kolonie. Gemütlich und angenehm mit Kaffee-Begleitung. Wahrscheinlich waren nur die liberalsten erschienen Abends feierliches Bankett der Juden Völkerbundskommission für Immigration von Kriegs-Vertriebenen war dabei. Sass neben interessantem Engländer (Nansens [p. 27] [p. 28] [p. 29] [p. 30]
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