7 2 4 D O C . 4 6 5 P L A N N E D L E C T U R E B U E N O S A I R E S 465. Planned Introductory Lecture at the University of Buenos Aires [before 27 March 1925][1] Geehrter Herr Rektor! Geehrte Lehrer und Studenten dieser Universität! In dieser Zeit politischer und nationalistischer Zersplitterung gereicht es zu be- sonderer Freude wenn Menschen zusammentreten ausschliesslich um derjenigen höchsten Güter willen, die allen gemeinsam sind. Ich freue mich, hier in diesem ge- segneten Lande vor einem Häuflein wissenschaftlich Interessierter über jene Pro- bleme sprechen zu können, welche in der Hauptsache den Gegenstand meiner Überlegungen gebildet haben. Es gibt in der Wissenschaft stets zwei entgegengesetzte Bestrebungen, welche in ihrer gegenseitigen Ergänzung den Fortschritt ausmachen: das Streben nach Erweiterung[2] und Bereicherung unseres Einzel-Wissens, und das Streben nach systematischer Einheit der Erkenntnis. Da meine Arbeit stets dem letzteren Ziele gegolten hat, so will ich hier genauere Betrachtungen darüber anstellen. Die Wissenschaft sucht das Geschehen auf möglichst wenige hypothetische Gesetze zurückzuführen, aus welchen sich die Relationen zwischen den beobacht- baren Thatsachen deduktiv, d. h. auf rein logischem Wege, ableiten lassen. Ge- wöhnlich nennt man die Physik eine empirische Wissenschaft und glaubt wohl, dass deren Fundamentalgesetze aus Experimenten abgeleitet seien zum Unter- schiede etwa von der spekulativen Philosophie. In Wahrheit ist aber die Beziehung der fundamentalen Gesetze zu den Erfahrungsdaten keine so einfache. Es gibt näm- lich keine wissenschaftliche Methode, um induktiv die Fundamentalgesetze aus den Daten der Erfahrung abzuleiten. Die Aufstellung eines Fundamentalgesetzes ist vielmehr ein Akt der Intuition, der allerdings nur demjenigen gelingen kann, der das in Betracht kommende Gebiet empirisch genügend überschaut. Kriterium für die Wahrheit der Fundamentalgesetze ist allein dies, dass aus ihnen die empiri- schen Beziehungen zwischen den beobachtbaren Dingen bzw. Ereignissen logisch gefolgert werden können. Die Fundamentalgesetze können also wohl endgültig wi- derlegt, nie aber endgültig als richtig erwiesen werden denn stets muss es als mög- lich in Betracht gezogen werden, dass ein Phänomen gefunden werde, das logische Folgerungen aus den Fundamentalgesetzen widerstreitet. Die Erfahrung ist also wohl Richterin aber nicht eigentlich Erzeugerin der Fundamentalgesetze. Der Übergang von den Erfahrungsthatsachen zum Fundamentalgesetz bedarf stets ei- nes freien schöpferischen Aktes der Phantasie, einer Schaffung von Begriffen und Relationen, ohne dass es möglich wäre diesen Akt durch eine zwangläufige Metho- de zu ersetzen.[3]
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