1 0 0 D O C . 4 8 F O R R O L L A N D S S I X T I E T H B I R T H D A Y 48. Statement for Romain Rolland’s Sixtieth Birthday[1] [Kiel, on or before 18 August 1925][2] Verehrter Meister! Ein einziges Mal habe ich Sie mit leiblichen Augen gesehen, als Sie noch unter dem ersten Eindruck der europäischen Katastrophe standen, ein Ein¢ziger²samer, ¢mit² Sehender, mit der grossen Masse unsäglich Leidender, unglücklich in dem Gefühl, nicht Licht schaffen und erlösen zu können.[3] Nie haben Sie vollen Trost darin finden können, durch Ihre hohe Kunst und Ihr Wort auf die fein Organisierten ¢wirken zu können. Denn Sie sind ein Nachkomme Prometheus.² zu wirken. Sie wollen der menschlichen Kreatur helfen, ¢heute uns² die ¢heute² in selbstgeschaf- fenem Elend schmachtet. Die ¢grossen² rohen Massen thun ihr ¢rohes² Werk aus dunklen Leidenschaften heraus, denen sie und die sie verkörpernden Staaten völlig unterthan sind. Sie rasen in ihrem Wahn und treiben einander in tiefes Unglück. Aber sie vollbringen im Grossen Ganzen all diese Gräuel ohne inneren Zwiespalt. Die Wenigen ¢aber² je- doch, welche ¢das² an dem rohen Fühlen der Massen nicht ¢mitwirken² teilnehmen, sondern ¢ungetrübt² unbeeinflusst von ¢rohen niedren² Leidenschaften am Ideal der Menschenliebe hängen, tragen weit schwereres Los. Sie werden aus ihrer Gesell- schaft ausgestossen und wie Aussätzige verfolgt wenn sie nicht Handlungen bege- hen, gegen die sich ihr Gewissen aufbäumt, und feige verschweigen, was sie sehen und fühlen ¢und Handlungen begehen, gegen die sich ihr Gewissen aufbäumt². Sie aber, verehrter Meister, haben nicht geschwiegen sondern gelitten, gekämpft und getröstet wie eine grosse Seele. In dieser für uns Europäer so ¢schmachvollen² beschämenden Zeit hat es sich gezeigt, dass Athletik des Geistes nicht schützt gegen barbarische Gesinnung. Ich glaube, dass die edle, menschliche Gesinnung in den Universitäten und Akademien nicht besser gedeiht als in den Arbeitsstätten des ungekannten stummen Mannes aus dem Volke.[4] Aber es gibt eine Gemeinde, die in Ihnen eines ihrer schönsten Lichter sieht. Es ist die Gemeinde derer, die immun sind gegen die Epidemien des Hasses, die in der Abschaffung des Krieges ein erstes Ziel der moralischen Gesun- dung der Menschheit erstreben, das unvergleichlich wichtiger ist als das Sonderin- teresse der eigenen Nation oder des eigenen Staates. ADft. [28 040]. Gorki et al. 1926, pp. 143–144 (Doc. 51), Nathan and Norden 2004, pp. 97, 99–100. [1]Rolland (1866–1944) was a French writer and pacifist. He would turn sixty on 29 January 1926. Einstein had been invited to contribute to Gorki et al. 1926 by the Swiss journalist Emil Roniger (see Abs. 89).
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