D O C U M E N T 2 4 1 A P R I L 1 9 2 6 4 0 7 Verse drechsle. Ich habe eben darin eine so phänomenale Leichtigkeit, daß ich in wenigen Minuten die längsten “Dichtungen” zusammenschmiere. Du hast in Deinem Brief nebenbei angetönt, ich solle Dir über mich selbst schreiben, was mich freue und was mich wurme.[7] Ich teile diese schwierige Auf- gabe in 3 Unterabteilungen: 1. Ich selbst. 2. Was mich freut, und 3. Was mich wurmt. Punkt 1 ist eine Anmaßung, denn es ist bedeutend leichter, einen andern Menschen zu beschreiben als ausgerechnet sich selber. Bei sich selber verwechselt man immer das, was man ist, mit dem, was man sein möchte, und mit dem, was man nicht sein möchte. So ist das Resultat im besten Fall ein sehr grober Nähe- rungswert. Aus der Tatsache, daß sich meine Meinung über mich in kurzer Zeit sehr wan- delt, schließe ich, daß ich überhaupt einen wankelmütigen und schwankenden Cha- rakter habe. Dies wäre ein Fixpunkt. Daß ich egoistisch bin, hast Du schon längst he[ra]usgefunden.[8] Es steckt ferner in mir ein Wesen, das ungeheuer faul ist. Außerdem ein anderes Wesen, das mir wegen meiner Faulheit Vorwürfe macht. Ich bestehe größtenteils aus solchen Doppelwesen. Ich glaube einerseits, daß ich begabt bin und vielleicht einmal etwas Bedeutendes leisten könnte, aber eine ande- re Stimme in mir erklärt, daß sei nur Einbildung. Schließlich ist noch ein drittes, tief innerliches Wesen, das beide Meinungen belächelt. Und Du traust mir zu, ich könne ein so kompliziertes System von Widersprüchen in einem kurzen Brief darlegen? Was meine Begabung anbelangt, so ist eine gewisse Begabung auf folgenden Gebieten nachzuweisen: Mathematik (übrigens nicht so viel, wie es sich für Deinen Sohn geziemen würde), teilweise Naturkunde, alte Sprachen, neue Sprachen, Lite- ratur, Musik, Dramatik, Philosophie usw. usw. Ich käme aber in Verlegenheit, wenn ich Dir sagen wollte, für was ich eine hervorstechende Begabung oder großes In- teresse besitze. Das ist ein Fehler, aber es ist so. Am meisten interessiere ich mich vielleicht für Dramatik und Theater. Ich habe über das ein Buch gelesen, das mir ausgezeichnet gefallen hat: “Die Welt im Dra- ma” von Alfred Kerr.[9] Du hast vermutlich von diesem Mann schon gehört, er lebt in Berlin und schreibt Kritiken für das Berliner Tagblatt. Das Buch von ihm ist ganz hervorragend. Man darf allerdings manchmal nicht darüber denken: “Vielleicht ganz witzig, aber nicht wahr.” sondern: “Vielleicht nicht ganz wahr, aber witzig.” Und man muß sich freuen über den glänzenden Stil, den treffenden Witz und die Frechheit, mit der er alles sagt. Aber ich schweife ab. 2. Teil: “Was mich freut.” Oho, das ist auch ein ziemlich weitläufiges Gebiet! Ich freue mich zum Beispiel, wenn ich etwas Gutes zum Mittagessen bekomme. Das hat einen maßgebenden Einfluß auf die Laune des ganzen Tages. Das scheint
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