D O C U M E N T 4 3 3 D E C E M B E R 1 9 2 6 6 6 5 433. From Eduard Einstein Zürich, 12. Dez. [1926][1] Lieber Papa! Ich danke Dir vielmal für Deinen Brief.[2] Mir fiel an ihm eine gewisse Gereizt- heit auf, [die], wie ich zu meinem Erstaunen wahrnahm, durch das harmlose Wort- gemüse, das ich kurz vorher Dir zusandte, hervorgerufen zu sein schien. Ich vermute, daß Du dieses etwas allzu ernst genommen hast. Du hast meinem Geplo- der[3] Gedanken unterschoben, die mir durchaus fern lagen. Es scheint, daß äußerst harmlose Einfälle, schreibt man sie nieder, aufdringlich und anmaßend werden. Bei mir zum mindesten ist so. Es mag auch davon herrühren, daß ich meine G[e]dan- ken, die an und für sich durchaus zweifelhaft und überdies unwesentlich sind, ir- gendwie unterstreichen will. Ich begreife, daß das für einen andern ärgerlich zu sehen ist. Die Anmaßung gehört zu den Eigenschaften, die nur man selber an sich billigt. Immerhin sind da in Deinem Briefe einige Stellen, denen zu widersprechen ich das Bedürfnis hatte. Allein Dein Brief ist so raffiniert verfaßt, daß das auf Schwie- rigkeiten stößt. Wenn Du erklärst, Du habest über derartige Probleme Dein Leben lang nachgedacht, so kann ich Dir da durchaus nichts Ebenbürtiges entgegenstel- len. Wenn Du anführst, Du habest ¢al² die nämlichen Gedanken wie ich in Deiner Jugend gehegt, so muß in mir der Verdacht aufsteigen, es sei vollkommen hoff- nungslos, mit Dir zu disputieren, da Du ja in jeder Hinsicht mindestens 30 Jahre mir voraus bist. Ich glaube auch, daß es hoffnungslos ist das ist aber noch kein Grund, es zu unterlassen. Was Du (beispielsweise) über die geistige Arbeit sagst, dünkt mich nicht gerade überzeugend. Du sagst, der Eudaimonismus sei ein armseliges Sauherdenideal. Nun möchte ich Dich aber fragen, warum Du Dich eigentlich mit der Wissenschaft befassest. Doch offenbar nicht aus irgend welchen weithergeholten Gründen, son- dern darum, weil Du Befriedigung darin findest. Du sagst also ungefähr: „Daß alle Menschen glücklich sein sollen, ¢daß² das ist ein armseliges Ideal. Ich benehme mich dergestalt, daß ich, ich, ich dabei mich glücklich befinde.“ Das ist ungefähr das gleiche, was ich auch denke. Ich würde ja nichts sagen, wenn Du zum Beispiel einen Abscheu gegen die Wissenschaft hättest und Dich ihnen doch aus irgend wel- chen Überlegungen widmen würdest und dann wäre noch sehr zu untersuchen, ob Deine Befriedigung nicht darin bestünde, Dir selbst etwas Unangenehmes aufhal- sen zu können Übrigens finde ich den Eudaimonismus gar kein so sehr armseliges Ideal. Die Natur hat uns offenbar das Gefühl des Glückes und des Schmerzes eingeimpft, um