6 2 D O C U M E N T 1 3 J U N E 1 9 2 7 13. To Rudolf Seeliger[1] [Berlin,] den 25. Juni 27. Sehr geehrter Herr Studienrat! Ich habe Ihre erkenntnistheoretische Schrift aufmerksam und mit Interesse gelesen und billige den Inhalt in der Hauptsache.[2] Es existiert jedoch ein prinzi- pieller Punkt bezüglich dessen ich anderer Meinung bin. Man kann es nämlich nicht so darstellen, dass die Physik, auf dem Wege der In- duktion aus den Erfahrungstatsachen entstehe, es handelt sich vielmehr um freie geistige Schöpfungen, deren Konsequenzen allerdings zu den Erfahrungstatsachen passen müssen.[3] Beispiel: Die kinetische Theorie der Wärme, die Theorie der Elektrizität können offenbar nicht durch Induktion aus noch so vielen Erfah- rungstatsachen erschlossen werden. Bei strenger Analyse des Gedankenmaterials bemerkt man, dass es sich überhaupt mit allen Theorien so verhält, wenn auch in manchen Fällen der schöpferische Schritt so natürlich erscheint, dass man seine Freiheit leicht übersieht. Falls Sie Ihre Studie publizieren wollen, wäre es nach meiner Ueberzeugung angebracht, gleich am Anfang darauf hinzuweisen, dass der von Ihnen vertretene Standpunkt mit dem von Mach und den Positivisten über- haupt wesentlich übereinstimmt.[4] In vorzüglicher Hochachtung! TLC. [25 272]. Addressed “Herrn Studienrat Seeliger Hagen i. W.” [1] Seeliger (1880–1948) was a Saxon schoolteacher. [2] Seeliger sent a nonextant manuscript, of which [31 034] might be a fragment. [3] In a lecture of January 1921, Einstein used the phrase “freie Schöpfungen des menschlichen Geistes” (free creations of the human mind) in connection with the axioms of geometry (see Einstein 1921c [Vol. 7, Doc. 52], p. 5). In his Princeton lectures later that year, he used the same expression for the “Welt der Begriffe” (the world of concepts) in physical science (see Einstein 1922c [Vol. 7, Doc. 71], p. 2). In Doc. 6, Einstein makes similar statements about the concepts and laws of physics see its note 5. [4] See also Doc. 6 for Einstein’s comments on positivism.