D O C . 30 O N T H E B A L K A N F E D E R A T I O N 79 1426 D i e B a l k a n - F ö d e r a t i o n No. 72/73 DIE BALKAN-FÖDERATION H A LB M O N A TLIC H E Z E IT SC H R IF T ORGAN D E R NATIONALEN M I N D E R H E I T E N UND U N T E R D R Ü C K T E N VÖLKER D E S BALKANS E RSCH E.INEND IN ALLEN B A I.K AN SPRAC H E N [2] U N S E R E EN Q_U E T E BEI DEN POLITISCHEN UND LITERARISCHEN PERSÖNLICHKEITEN EUROPAS ÜBER D I E B A L K A N - F Ö D E R A T I O N Albert Einstein Albert Einstein, Physiker und Mathematiker, geboren am 14. Mürz 1879 in Ulm, 1902 bis 1909 am Patentamt in Bern tätig, 1909 bis 1911 außerordentlicher Professor in Zürich, 1911 bis 1912 ordentlicher' Professor in Prag, 1912 bis 1914 in Zürich, 1914 Mitglied der preußischen Akademie in Berlin und Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik. Veröffentlichte 1905 im „Jahrbuch für Radioaktivität“ : Über das Relativitäts- prinzip und die aus demselben gezogenen Folgerungen“ 1913 mit Dr. Großmann „Entwurf einer verallgemeinerten Relativitäts- theorie und einer Theorie der Gravitation“ ferner die „Grund- lagen der allgemeinen Relativitätstheorie“ (1916 bis 1920) „Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie“ (gemein- verständlich, 13. Auflage) „Äther und Relativitätstheorie“ (1920) siehe auch „Relativitätstheorie“ . 1922 erhielt er den phy- sikalischen Nobelpreis (von 1921) für die Entdeckung des Quantengesetzes, des lichtelektrischen Effekts. Seit dem Jahre 1923 Mitglied der „Kommission für intellek- tuelle Zusammenarbeit“ beim Völkerbund. Auf Ihre erste Frage antworte ich mit einem kategori- schen N e i n ! Die jetzige „Lösung“ der Fragen der Balkan- völker entspricht gar nicht den Interessen des Friedens. Die Völker sind durch die Militärcliquen furchtbar unterdrückt. Ein imperialistischer und militaristischer Geist erfüllt die herrschenden Dynastien und Oligarchien. Daher sind jetzt die Verhältnisse auf dem Balkan fürchterlich. Der Terror herrscht dort ohne Schranken. Die Greueltaten, die man dort verübt, empören jeden Menschen. Die Rechte der Minderheiten? Die sind nur auf dem Papier geschützt. Der Völkerbund hat den Minderheiten in gar keiner Beziehung eine Protektion gewähren können. Von der anderen Seite werden die Völker gegeneinander gehetzt, und dort, wo ja so logisch zwischen so verwandten Nationen hätte Frieden herrschen müssen, herrscht, offener oder latenter Feindseligkeitszustand. Und dies wird nicht aufhören, solange die militaristischen Kräfte nicht aufgelöst werden, nicht verschwinden. Es ist selbtverständlich, daß das Ideal eine Verständi- gung wäre, eine Vereinigung, eine Föderation der Balkan- völker. Diese wirkliche Föderation der Völker setzt aber die vollständige Autonomie der Völker voraus, die sich dann frei vereinigen würden zu einer Föderation. Unter den jetzigen reaktionären Regierungen aber ist dies ein Ding der Un- möglichkeit. Ihr militaristisches und imperialistisches Wesen ist dagegen. In absehbarer Zeit würde es vielleicht nicht möglich sein, in allen Balkanländern wirklich demokratisch und freiheitlich gesinnte Regierungen zu haben, die allen Balkanvölkern Autonomie gewähren und ihnen zu ihrer freien Föderation verhelfen. Deswegen muß zu diesem Ideal der Autonomie der Balkanvölker und ihrer Vereinigung in einer wirklich freien, demokratischen Föderation etappenweise geschritten werden. Die erste Etappe muß sein: Alles tun, damit sich wenig- stens die Balkanregierungen zu einer Konföderation der jetzi- gen Staaten entschließen. Falls dies erreicht werden könnte, so wäre dadurch ein provisorischer Friedenszustand auf dem Balkan geschaffen, und die Konföderation selbst würde so- zusagen als höchste Instanz wirken, um Feindseligkeit, Greueltat, Gemetzel zu verhindern. Zur gleichen Zeit würde, im Rahmen dieser Konföderation, die so akute Frage der Autonomie der einzelnen unterdrückten Völker in den Vorder- grund rücken, und diese Autonomie würde sich allmählich verwirklichen. Dies würde dadurch gefördert, daß in dieser Konföderation die gegenseitigen Fehden der Staaten aufhören würden und so die jetzt künstlich gezüchteten Zwistigkeiten und der Haß der Völker allmählich einer Versöhnung und gegenseitigen Verständigung Platz machen würden. Es würde auch in dieser K o n f ö d e r a t i o n allmählich ein demokratischer Geist aufkommen. Nachdem durch diese Etappe die einzelnen Völker friedlich nebeneinander arbeiten können, die Minderheiten ihre Rechte wieder genießen, die eroberten Länder ihre Auto- nomien wieder erlangen würden, würde es ganz natürlich zu einer engeren Vereinigung zwischen den Balkanvölkern kommen, zu der wirklichen Föderation der Balkanvölker, die dann den von uns allen so heiß ersehnten Frieden auf dem Balkan endlich konsolidieren würde, zum größten Wohle der Balkanvölker, zum größten Wohle des Weltfriedens. ____________ Albert Einstein Alfred Döblin Geboren im Jahre 1878 in Stettin, Pommern. Arzt und Schriftsteller. Verfasser einer Reihe großer Romane, mehrerer Theaterstücke, Novellen und Essaybände. Hauptwerke: „Die drei Sprünge des Wang-lu“, ein chinesischer Revolutionsroman ein W allenstein-Roman „Manas“, eine epische Dichtung mit einem indischen Sujet dann „Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine“, „Staat und Schriftsteller“, „Berge, M eere und Giganten“ usw- Er gehört der jüngeren deutschen Schriftstellergeneration an, die sich ziemlich scharf von der noch lebenden älteren Generation (Hauptmann, Thomas Mann) abhebt. Ich halte den gegenwärtigen Zustand auf dem Balkan nicht für entsprechend sowohl den Erfordernissen der Balkan- völker als auch denen des europäischen Friedens. Mazedonien, dieser Hauptkern der Balkanfrage, wird von einer gemischten Bevölkerung bewohnt, deren Zusammen- setzung ein Auseinanderreißen nach der Seite Griechenlands, Bulgariens oder Jugoslawiens nicht gestattet. Der Zustand ist hier noch komplizierter als etwa in Polen, wo die Minoritäten, bis auf die jüdische, wenigstens in der Hauptmasse irgendwo konzentriert angesiedelt sind. In Mazedonien aber besteht eine vollkommen nicht entwirrbare Durchmischung der Nationali- täten, eine Folge seiner historischen Entwicklung. Nun war der Effekt der Balkankriege und des Weltkrieges, daß dieses Mazedonien aufgeteilt wurde und diese unlöslich miteinander vermischten Völker an eindeutige Nationalitäten vergeben wurden, die in der bekannten Weise Assimilationsversuche unternehmen. Der Wahnsinn, fremde Nationen zu assimilieren, statt sie aufzurichten in ihrer spezifischen Eigenart, ist auch in Europa noch immer verbreitet. Selbst England, das die be- kannten Methoden übt, um die von ihm unterjochten Völker zu seinen Kolonialvölkern zu machen, ihnen Autonomie zu verweigern, und sie merkantilistisch auszubeuten, hat eigent- lich niemals versucht, sich ein Volk zu assimilieren. Frank- reich hat jetzt Elsaß-Lothringen wieder gewonnen, es unter- nimmt jedoch keineswegs etwa die Unterdrückung der deutschen Sprache, der kulturellen Eigentümlichkeiten dieses Gebietes, und der Effekt ist ein ganz anderer als seinerzeit die Herrschaft eines kriegerischen Militärs, welches die Elsaß- Lothringer immer als Fremdes empfanden. So dürfte wohl für Mazedonien die beste Lösung ein Herausschälen aus den Staaten sein, die sich jetzt in dieses Land verbissen haben. Aus zwei Gründen ist diese Lösung erforderlich: erstens im Interesse der Mazedonier selbst, d. h. im Interesse ihrer menschlichen Befreiung vom Bedrängen nationaler Art, und zweitens, um den Balkan zu befreien von einem gefährlichen und ständig kriegsdrohenden Gebiet. Denn was das Letzte anbelangt, ist bekannt: Wie schon allgemein Völker oder Massen sich schwer national unterdrücken lassen, [3] [4] [5] [6]
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