1 1 8 D O C U M E N T 5 6 S E P T E M B E R 1 9 2 7 Ich bin ganz schläfrig und schätze das Schlaf-Minus auf vier Stunden. Die Uhr schlägt hart und drohend. Mutter[8] und Magd rufen zyklisch. Schließlich, hoff- nungslos zu spät, hüpf ich auf, taumele zum Bad. Ich stecke den nassen Lappen vier, fünf Mal ins Auge, das trüb glotzt und kaum Notiz nimmt. Ich vertrödle plätschernd den Rest der Zeit. Ich versuche minuten-lang einen Scheitel auf den Kopf zu bauen. Ich krieche in die Kleider. Ich nehme die Zeitung und suche sie zu entziffern. Ich fange bei Fortgehens-Zeit an zu kauen und schlucke zwei Brote, schlürfe Kakao. Ich bin noch nicht wach. Nun entweiche ich. Der Schul-Weg. Er ist eine Sache für sich. Keine leichte Sache. An jeder Stra- ßen-Ecke ist Gefahr. Es gibt so und so vielen auszuweichen, deren ödes Geschwätz mich sonst erdrückt. Manche gehn nicht gern mit mir und ich nicht mit ihnen. Man kann diesen leicht entgehn. Sie haben die Eigenschaft, auf den Boden oder auf eine entlegene Seite zu schauen. Ich tu das auch. Ich hab eine große Fertigkeit darin. Es gibt solche, die mit mir gehen wollen, und ich will nicht. Sie sind mühsam zu be- handeln. Manchmal, wenn man sich hinter ihnen hält, bleiben sie stehen und war- ten, und es ist schwer, sie zu übersehn. Sie nähern sich und sind geschwätzig und beschränkt. Dann gibt es solche, mit denen angenehm zu plaudern ist, und solche, die angenehm anzusehen sind. Es ist eine Kunst, einen Schul-Weg unterhaltsam zu gestalten. Der Schul-Weg ist für die Stimmung des ganzen Tags ausschlag-gebend. Schließlich taucht die Schule breit auf. Man Klassen-Genossen spähen im ersten Stock aus einigen Fenstern. Dort ist unser Zimmer. Wenn sie mich sehn, rufen sie „Samuel“,[9] und ich lache verlegen. Alle nennen mich Samuel. Sie spähen immer am Fenster, weil sie da die Mädchen in ihre Schule vorüberhasten sehn. Ich spähe auch immer. Manche rufen wir an und verstecken uns hinter das Sims. Wir kennen alle Namen. Manche machen einen weiten Umweg um unser Schulhaus. Ich will diesen Brief ein andermal fortsetzten und des Tages Rest aufsteigen las- sen. Aber nicht, bevor ich ein Schrift Stück von Dir in den Händen halte. Meine Aufgaben heute sind flöten. Wir haben morgen eine Englisch- und eine Naturkund- Übung. Bedenk die Aufopferung. Viele Grüße an alle, zum Beispiel an Margot und Frau Mendel, der ich möglichst bald ihren Brief beantworten will, Deine Frau[10] und Dich Dein Teddy ALS. [144 487]. [1] Dated on the assumption that this document was written after he had first met Margot Einstein (see Doc. 26) and before Doc. 57. [2] Einstein had previously alluded to his being asked to take a more proactive role as Eduard’s father in Vol. 15, Doc. 508a, in this volume. [3] Eduard was attending the fifth year of the Literargymnasium of the Kantonsschule in Zurich. For Eduard’s earlier views on the value of scientific pursuits, see Eduard Einstein to Einstein, 12 December 1926 [Vol. 15, Doc. 433]).
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