D O C U M E N T 1 1 9 J A N U A R Y 1 9 2 8 2 1 9 anöden. Eine Entscheidung über diese Fragen wird vor einigen Hundert Jahren nicht zu erwarten sein. Wenn bis dann die Menschheit, sich nach den bisherigen Prinzipien weiter entwickelnd, nicht vor dem Zusammenbruch steht, werd ich zu- geben, daß ich dem Geist unrecht tue. Ich fand übrigens kürzlich bei einem ernst- haften Forscher, Sigmund Freud, der doch sicher nicht gegen die Kultur voreingenommen ist, das folgende: „So müßte man sich denn vielleicht mit dem Gedanken befremden,... daß Verzicht und Leiden sowie in weitester Ferne die Ge- fahr des Erlöschens des Menschengeschlechtes infolge seiner Kulturentwicklung nicht abgewendet werden können.“[6] ___________________________ (Schluß des moralischen Teiles) Du mußt übrigens nicht meinen, daß ich Dir ernstlich wegen meiner Existenz grolle. Ich finde die Welt ganz wohnlich. Die herrschende Überschätzung geistiger Qualitäten wird mir vielleicht zu einer befriedigenden sozialen Stellung durchaus verhelfen. Welchem Metier ich mich zuwende, weiß ich immer noch nicht, fange an zu glauben, daß ein ganz und gar geeignetes Metier für mich heute gar nicht exi- stiert. Ich würde Pfarrer, wäre es nicht ein so schrecklich anachronistisches Amt. Ich gehöre eigentlich ins Mittelalter. Damals kämpften die Leute noch für ihre Mo- ralen. Heute kämpfen sie nur noch um Materielles. Aber ich fürchte fast, damals im Grunde auch. Albert waren und seine Gattin eine Woche hier.[7] Albert schien zufrieden, sah aber relativ mager und matt aus. Seine Lunge ist, sagt Zangger, nicht über die Maße befriedigend.[8] In seine Frau ist Albert sehr verschossen. Leider ist sie nicht ei- gentlich hübsch, sie zehrt von den Resten einer gewissen Jugendlichkeit. Diese wird auch bei sorgsamer Dosierung länger als noch zwei Jahre nicht reichen. Von geistigen Anlagen spreche ich nicht. Was gehen mich geistige Anlagen an? Übrigens könntest Du Albert wohl einmal schreiben. Er lauert darauf. Viele Grüße von Deinem Sohne Teddy ALS. [144 489]. “Einordnen unter E.” is written at the top of the first page of the document in Einstein’s hand. [1] Year determined by the fact that this document is a reply to Doc. 108. [2] See Doc. 108 for the specific points made by Einstein that Eduard responds to in this letter. [3] A reference to the blind poet Demodocus. [4] Plato 1927. [5] Shaw 1927. [6] Freud (1856–1939) was the Austrian-Jewish founder of psychoanalysis. The quote is from Freud 1922, pp. 227–228. [7] Hans Albert Einstein and Frieda Einstein-Knecht. [8] In Doc. 120, Heinrich Zangger had expressed himself satisfied with the state of Hans Albert’s lungs.