2 9 4 D O C U M E N T 1 7 2 A P R I L 1 9 2 8 172. To Leo Kohn Berlin W., 14. April 1928 Lieber Herr Cohn, Ihren ausführlichen Brief vom 3. März lese ich leider erst heute, infolge meiner Reise und einer peniblen Herzkrankheit, die mich noch lange ans Bett fesseln wird.[1] Mit Euern Massnahmen bin ich völlig einverstanden. Nach meiner Meinung ist Brodetzky der geeignete Mann für unseren Posten, da er im Gegensatz zu L. nicht nur Fachgelehrter, sondern auch in administrativen und menschlichen Dingen er- fahren ist.[2] Auch bedarf es einer jugendlichen Kraft.[3] Ob es angezeigt ist, grosse finanzielle Opfer zu bringen, um Prof. Landau für Jerusalem dauernd zu gewinnen, vermag ich schwer zu beurteilen.[4] Sicher ist, dass er einen fruchtbaren seminari- stischen Arbeitsbetrieb im Sinne wissenschaftlicher Forschung realisieren würde, welcher sich allerdings nur auf ein verhältnismässig enges Gebiet der reinen, d.h. den Anwendungen abgewandten Mathematik erstrecken würde. Wenn es der Lage der Dinge nach gerechtfertigt ist, hierfür die nötigen Opfer zu bringen, dann dürfte es segensreich sein, den Versuch zu machen, Landau in Jerusalem zu halten. Im Allgemeinen bin ich unbedingt dafür, dort mit den rein theoretischen Fächern zu beginnen.[5] Denn dies kostet viel weniger als Laboratorien und entspricht viel mehr der Richtung und Tradition des jüdischen Geistes. Wenn ich zu bestimmen hätte, würde ich vor jeder nicht durch äussere Notwendigkeit bedingten For- schungsstelle für empirische Wissenschaften ausschliesslich Institute für Mathe- matik, theoretische Physik und Erkenntnistheorie einrichten. Auf diese Weise könnten wir bei sorgfältiger Wahl der Persönlichkeit mit verhältnismässig beschei- denen Mitteln ein Institut schaffen, dessen Weltgeltung uns die Beschaffung der Mittel für die Errichtung der Institute für die empirischen Wissenschaften sichern würde. Fahren wir aber fort, in kleinem Rahmen mittelmässige Laboratoriumsar- beiten zu produzieren, so wird nach meiner Ueberzeugung aus der ganzen Sache nichts werden.—Wenn man sich entschliesst, Prof. Landau nach Jerusalem zu brin- gen, so müsste man eine grosse Anstrengung machen, noch ein paar fähige Mathe- matiker hinzubringen, damit ein fachwissenschaftliches Milieu gebildet wird. Es grüsst Sie bestens Ihr P.S. Herr Ginsberg hat mich aufgefordert, ihm die Eingabe eines Mannes aus Wien? zu senden, der sich an mich wegen der Errichtung eines Lehrstuhls für Geo- graphie in Jerusalem gewendet hat.[6] Wie der Mann heisst, kann ich Ihnen nicht mitteilen, weil meine Frau[7] Ginsbergs Brief weggeworfen hat. Sehen Sie bitte
Previous Page Next Page