D O C U M E N T 3 1 7 N O V E M B E R 1 9 2 8 4 8 3 wohl demnächst eine Verhandlung über die Sache bei Springer stattfinden, und Bohr sagte mir, es käme sehr darauf an, daß die engere Redaktion geschlossen vor- geht. Darum bitte ich Dich, bei Deiner Neutralität zu bleiben und nichts etwa gegen Hilbert und Seine Freunde zu unternehmen.[4] Wenn Du mir darüber ein Wort schreiben könntest, so würde das nicht nur mich, sondern auch Bohr und die andern beruhigen. Ich möchte Dir nun kurz sagen, warum mich die Sache überhaupt interessiert. Für mich kommt ganz allein meine Sorge und Anteilnahme an Hilbert in Betracht. Hilbert ist sehr schwer krank und hat wohl kaum noch eine lange Lebenszeit vor sich.[5] Jede Aufregung bedeutet für ihn eine Gefahr und einen Verlust an den we- nigen Stunden, die er noch arbeiten und leben kann. Dabei ist er noch von starkem Lebenswillen erfüllt und sieht die Aufgabe, seine neue Grundlegung der Mathema- tik durchzuführen, als Pflicht an, der er sich mit den letzten Kräften zu widmen hat.[6] Sein Geist ist klarer wie je und die Ausstreuung von Brouwer, Hilbert sei nicht ganz zurechnungsfähig, ist eine außerordentliche Herzlosigkeit. Courant und andere Freunde Hilberts haben mehrmals erwähnt, daß man den kranken Mann vor Aufregungen bewahren sollte, und Brouwer verdreht das so, als wenn Hilberts Meinung und Taten nicht mehr ernst zu nehmen seien.[7] Hilbert ist es durchaus sehr ernst mit seiner Aktion gegen Brouwer. Er hat auch zu mir vor einigen Wochen mal darüber gesprochen, ganz im allgemeinen nur und ohne auf Einzelheiten ein- zugehen. Er hält Brouwer für einen exzentrischen und unausgeglichenen Men- schen, dem er das Erbe der Leitung der mathematischen Annalen nicht anvertrauen will. Ich glaube, daß gerade die letzten Schritte Brouwers gezeigt haben, wierich- tig Hilberts Beurteilung des Mannes ist. Überhaupt ist nach meinen Erfahrungen Hilberts Urteil nicht nur in mathematischen, sondern auch in menschlichen Ange- legenheiten fast immer treffend und sicher.[8] Die Vorgeschichte der ganzen Sache, den Streit um den Besuch des Kongresses in Bologna, habe ich nur von fern verfolgt. Ich weiß aber, daß Hilbert den Besuch dieses Kongresses als eine schwere Pflicht empfunden hat, da seine Krankheit ihm so etwas zu einer unerhörten Anstrengung macht.[9] Hilbert ist garnicht etwa poli- tisch sehr links gerichtet, im Gegenteil: für meinen und erst recht für Deinen Ge- schmack ziemlich reaktionär—. Aber er hat einen ganz scharfen Blick für das, was im Verkehr der Wissenschaftler der verschiedenen Länder zum Wohle des Ganzen notwendig ist. Das Verhalten Brouwers in der Sache, der nationalistischer auftrat wie die Deutschen selber, hielt Hilbert wie wir alle für eine Narretei, aber das Schlimme war eben, daß die Berliner Mathematiker auf Brouwers Unsinn herein- gefallen sind. Ich möchte hinzufügen, daß die Bologna-Frage für Hilberts Ent- schluss, Brouwer zu entfernen, nicht ausschlaggebend, nur ein Anlass war. Bei
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