D O C U M E N T 4 2 7 M A R C H 1 9 2 9 6 2 3 427. From Marie Barthelts[1] Winterthur, Graben 27, 10. März 29. Sehr verehrter Herr Doktor! Gestatten Sie einer von Ihnen vielleicht längst Vergessenen, Ihnen heute zum Ju- biläum aufrichtige Wünsche zu entbieten Möge Ihnen künftig das Glück guter Ge- sundheit treu bleiben, damit Sie froh vereint mit Ihren lieben Nächsten den Tag noch ungezählte Male begehen können. Mögen Sie an Hand der folgenden Zeilen nochmals ein Stück Jugendland durchwandern? Die genaue Zeit ist mir nicht erin- nerlich, aber etwa 30 Jahre mögen es her sein, da kamen Sie nach Winterthur, vi- karisierten für Prof. Rebstein am „Tech.“, wohnten bei Ofenbauer Wachter[2] & auf der Suche nach Begleitung zum Musizieren kamen Sie unverhofft zu mir! In mei- ner Abwesenheit hatten Sie mit Mama[3] eine Abendstunde verabredet & hatte mich Ihre Jugend ermuthigt, wurde mir aber doch bänglich, als Sie zuerst die Ker- zen am Notenständer ausbliesen: ich kann’s auswendig! Wir spielten Mozart- Sonaten—die mir damals unbegreiflicherweise noch unbekannt waren—& es gieng so nett, daß Sie mit mir bestimmte Abende verabredeten, di[e] ich meiner- seits sehr gerne inne hielt. Was wir Anderes noch spielten, ist mir nimmer bestimmt erinnerlich, aber von den Mendelssohn-Liedern spielten Sie mit Vorliebe die Sing- stimme, ich höre noch: Über die Berge steigt schon die Sonne & Durch den Wald…[4]— Wir freundeten uns durch’s Musizieren an & Mama anerbot Ihnen mehrmals, Sie möchten vor dem Spielen jeweilen mit uns Abendbrot einnehmen, grad so, wie wir es hatten, aber Sie nahmen durchaus nichts an als Obst & „Guzeli”[5] nach dem Spielen: Sie hätten vorher bei Dändliker im „Alkoholfreien“[6] ein Haferl Suppe & eine Wurst gehabt & das genüge immer. Dann & wann spielten Sie auf dem Instrument von Hans Wohlwend,[7] das besser als das Ihrige war & 2mal kam der junge Mensch auch mit, da gab’s Trio wissen Sie es noch? Sie arbeiteten damals schon an Ihrer Dissertation[8] & versprachen, wenn Sie erst den Doktortitel hätten, mir eine Postkarte mit „Kickeriki” zu senden & ich ge- lobte als greifbare Gratulation ein paar solcher Mohren-Köpfe zu senden, wie wir sie damals auf dem Tische hatten—die Nachricht blieb leider aus! Nach & nach er- fuhr ich, daß Sie in Zürich & Bern Ihre Studien fortsetzten & aus den Zeitungen vernahm ich dann von Ihren Erfolgen, Reisen u.s.w. Ich verstehe nichts von Ihren Arbeiten, weiß aber, daß die Frucht Ihrer Forschungen & Ihrer conzentrierten
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