88 DOCUMENT 73 JANUARY 1908 Ob die Energie eines ruhenden Elektrons nach meiner Meinung aus- schliesslich elektrostatischer Natur sein kann? Versieht man einen an sich masselosen starren Körper mit einer elektrischen Ladung, so erhält er nach der Relativitätstheorie eine Masse gleich elektrostatische Energie. Dies gilt c2 unabhängig von der Gestalt des Körpers und von der Art, wie die Ladung ver- teilt ist. Aber man kann die Energie des bewegten Körpers nicht gleich der elektromagnetischen Energie desselben setzen, sondern [m]an muss dem an sich masselosen starren Körper, weil er von Seiten der elektrischen Massen Kräften ausgesetzt ist, eine träge Masse zuschreiben (Ann. d. Phys. Band 23. 1907 S 371-379).[10] Das Unbefriedigende liegt natürlich daran, dass wir je- nen Anteil der kinetischen Energie nicht zu lokalisieren, überhaupt nicht an- schaulich zu deuten verstehen. Ob hier die Abstraktion, [w]elche zur Aufstel- lung des Begriffs des starren Körpers führt, nicht mehr am Platze ist, oder ob wir hier einem Rätsel von thatsächlicher Bedeutung gegenüberstehen, ist mir noch nicht recht klar geworden.[11] Ich bin also der Meinung, dass wir die Masse des Elektrons als Masse aus- schliesslich einer elektrostatischen Energie auffassen können, wenn wir wol- len, wobei allerdings das Wesen der kinetischen Energie zum Teil dunkel bleibt. Aber mir gefällt eine solche Auffassung des Elektrons zunächst des- halb nicht, weil mir das starre Gerüst m[i]t seiner elektrischen Imprägnierung überhaupt Misstrauen einflösst. Eine befriedigende Theorie sollte nach mei- ner Meinung so beschaffen sein, dass das Elektron als Lösung erscheint, dass man also nicht äusserlicher Fiktionen bedarf, um nicht annehmen zu müssen, dass seine elektrischen Massen auseinanderfahren. In einer solchen Theorie [mü]sste ausser der Lichtgeschwindigkeit c auch noch eine zweite universelle Konstante eine Rolle spielen, deren Wert es zuzuschreiben ist, dass die elek- trische Elementarladung einen bestimmten und keinen andern Wert hat.[12] Ich kann Ihnen hier diese Meinung nicht begründen, hoffe aber, dies ein- mal mündlich nachholen zu können. Wenn ich nicht auf den nächsten Natur- forscherkongress gehen kann,[13] würde ich gerne einmal nach [M]ünchen fahren, um mit Ihnen über physikalische Fragen sprechen zu können. Mit aller Hochachtung Ihr ergebener A. Einstein. ALS (GyMDM, Sommerfeld-Nachlaß, Bopp/Hoffmann subcollection). Eckert and Pricha 1984, pp. 29-30. [70 117]. There are perforations for a loose-leaf binder at the left margin of the document. [1]A few weeks earlier Sommerfeld had characterized Einstein's work as containing an un- healthy dogmatism and expressing "the abstract-conceptual manner of the Semite" ("die ab-