20 DOCUMENT 10 MARCH 1903 Vor einiger Zeit habe ich Ihnen geschrie- ben um Ihnen zu Ihrer Heirath zu gratulie- ren, blos deßwegen, weil es eben mein Sohn hätte thun sollen, nicht um mich bei Ihnen in Gunst zu setzen ich dränge mich jungen Leuten nicht auf. Ich bin weder ein Wasch- weib noch eine alte Jüdin jung war ich auch einmal, unerfahren u. schroff in mei- nen Urtheilen, plump aber nie. Die Worte "eine alte Jüdin" sind die erste mir bewußte Plumpheit, die nur bezwecken sollen, mich künftighin von Ihren Grüßen zu verscho- nen. Achtungsvoll Frau Ehrat. ALS (Regula Ehrat, Zürich). [70 068]. The underscoring, vertical markings, and marginal comments are by Einstein. [1]Jakob Ehrat. [2]An expression of incomprehension, derived from a short story of this title in Hebel 1809. 10. To Emma Ehrat-Ühlinger [Bern, last week of March 1903][1] Liebe Frau Ehrat! Von einer lieben Bekannten, von der ich schon viel Freundschaft erfuhr, und die mich schon gastlich in ihrem Hause beherbergte, bekam ich heute den beiliegenden Brief,[2] dem man manches Schlimme ansehen kann, ohne viel zwischen den Zeilen herausknobeln zu müssen. Freilich ist ja unsereiner, oder, präziser ausgedrückt, "einer von unsre Leit",[3] nicht so leicht aus dem Häuschen zu bringen es stammt diese Gelassenheit von der Zeit her, als der große "Rabbi ben Akiba" sein berüchtigtes "Alles ist schon dagewesen" in die Welt hinaustrompetete.[4] Jetzt aber bin ich an dem guten Mann irre ge- worden denn es ist wohl noch nie dagewesen, daß die Mutter eines Akade- mikers nicht weiß, daß ihr korrekt und offiziell der Titel "alte Frau dessel- ben" zukommt. Unzählige Briefe, welche ich meiner Mutter geschrieben habe, tragen die Aufschrift: Liebe alte Frau.[5] Einmal beklagte sie sich sogar, daß ich sie so trocken als "Mutter" anredete. Ich müsse sehr herabgestimmt sein, meinte sie. Hat Ihnen denn Jakob[6] die Sache nicht erklärt? Hört, Hört Ich bin doch nicht der Großmogul Kannitverstan.[2] Ist vielleicht eine Anspielung auf Heines Gedicht ge- meint? Oh Oh.