DOCUMENT 56 FEBRUARY 1915 91
56. To
Michele Besso
[Berlin,]
(Wittelsbacherstr.
13) 12.
II.
[1915][1]
Lieber Michele!
Deine
Karte
peitscht
meine
schlechtes Gewissen
wieder
auf; jetzt
schreibe
ich,
bevor
es
sich
wieder
gelegt
hat. Ich
war
marode
von Influenza;
jetzt
ist
es
aber
wie-
der
vorbei.[2]
Mizas Adresse ist: Volta-str. 30. Zürich. Mit der
Trennung
bin ich
sehr
zufrieden,
trotzdem ich
nur
höchst selten etwas
von
meinen Buben höre.
Der
Frieden
und
die Gemütsruhe thun mir
ungemein
wohl,
nicht
minder das äusserst
wohlthuende,
wirklich
hübsche
Verhältnis
zu
meiner
Cousine,[3]
dessen Dauercha-
rakter durch die
Unterlassung
einer Ehe
garantiert
ist.
Gegenwärtig
ist
Natanson
aus Lemberg,
theor.
Physiker[4]
und
Stammesgenosse, hier,
den ich
sehr
lieb
ge-
wonnen
habe. Ich
korrespondierte
mit Deinem
ehemaligen
Freund
Straneo
(jetzt
in
Rom)
über die
Gravitation.[5] Diese
Theorie
findet bei den italienischen
Fachge-
nossen
sehr
viel Interesse.[6] Auch mit Lorentz
korrespondiere
ich
eifrig
darüber.[7]
Wissenschaftlich habe
ich
Dir
zwei schöne Sachen
zu
melden:
1)
Gravitation.
Rotverschiebung
der
Spektrallinien. (Spekroskopische) Doppel-
sterne haben dieselbe
mittlere
Geschwindigkeit
im
Visionsradius Die Massen
der
Sterne
ergeben
sich
aus
der
Doppler'schen periodischen
Linien-schwankung.
Die
Komponente
von
grösserer
Masse soll
gegenüber
der
Komponente von
kleinerer
Masse eine mittlere
Rotverschiebung
der
Spektr.
Linien
zeigen.[8]
Dies
bestätigt
sich da sich auch die Radien
der
Sterne schätzen lassen
(wohl aus (Lichtstärke und)
dem
Spektraltypus),
so
ergibt
sich
sogar
eine
angenäherte quantitative Prüfung
der
Theorie,
die
befriedigend
stimmt.
2)
Experimentelle
Bestätigung
der
Amèreschen
Molekularstrom-Hypothese.
Wenn die
paramagnetischen
Moleküle
Eletronenkreisel
sind,
so
entspricht jedem
magnetischen
Moment
I
ein
gleich gerichteter
mechanisches
Impulsmoment
OJî
von
der
Grösse[9]
OR =
1,13

10~7I
Während
sich
I
ändert,
tritt ein Drehmoment
auf
(-dm/dt). Wird ein
aufgehängtes
Stäbchen
um-magnetisiert, so
erfährt
es
ein axiales
Drehmoment,
dessen
Existenz
ich
zusammen
mit Herrn De Has
(Lorentz’
Schwiegersohn)
in der
Reichsanstalt
durch Versuche
nachgewiesen
habe. Die Versuche werden bald
beendet
sein.[10]
Damit
ist auch
in
einem
Fall die
Existenz
einer
"Nullpunktsenergie“
bewiesen.[11]
Ein wundervolles
Experiment,
schade,
dass Du’s
nicht
siehst.
Und
wie heimtük-
kisch
die
Natur
ist,
wenn man
ihr
experimentell
beikommen will!
Ich
bekomme
in
meinen
alten
Tagen
noch eine Leidenschaft für das
Experiment.
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