134 DOCUMENT 86 MAY 1915
86. To
Heinrich
Zangger
[Berlin,]
28.
V.
15.
Lieber
Freund
Zangger!
Ihre
Nachrichten
haben mich sehr
gefreut.
Ich bin
glücklich darüber,
dass Sie
mir
so
viel und ausführlich
schreiben,
und
dass
es
meinen lieben Kindern
gut geht,
insbesondere,
dass Albert eine
so
gute
Gesellschaft
hat. Ich freue mich
unsagbar
darauf,
Mitte Juli
zu
Ihnen
zu
kommen.
Ich
sollte
zwar
bis Ende Juli
lesen,[1]
werde
mich aber
dispensieren
für diese
wenigen Vorlesungen.
Wenn auch
Levin[2] kommt
und
Ihre
Franzosen,
so
wird
dies
gewiss
nicht
schaden. Sie kennen mich
ja.
Ich las-
se
die
Magneton-Menschen[3]
sehr
bitten,
mir
ihre Einwände schriftlich mitzutei-
len,
da ich mich für dieselben sehr interessiere. Ich bin
übrigens gerne
bereit,
ihnen
die
Experimente
vorzumachen.[4] Die
hiesigen
Kollegen waren
zunächst auch
misstrauisch,
haben sich aber
von
der
Stichhaltigkeit
der
Experimente überzeugt.
Ihre Schrift über das ärztliche Geheimnis habe ich mit vieler Freude
gelesen, dage-
gen
bin ich
zum
Studium der andern
übersandten
Arbeit noch
nicht
gekommen.[5]
Lesen Sie das bemerkenswerte Büchlein
"J’accuse“,
soeben
erschienen
bei
Payot
&
Co.,
Lausanne.[6] Es freut mich
sehr,
dass Sie in Ihrer
Instituts-Angelegenheit
Erfolg gehabt
haben. Ich freue mich sehr
darauf,
wieder
etwas
Züricher Luft
zu
schnaufen,
wenngleich
mein
Leben hier ideal schön ist bis
auf
die
Dinge,
die mich
eigentlich
nicht das
Geringste angehen.
Nun habe ich Ihre Arbeit
über
Gefährdung
gelesen
und
grösstenteils
verstan-
den.[7]
Ich
muss
aber
bekennen,
dass
mir der
Stil nicht
zweckmässig
erscheint. Da-
mit eine solche
Schrift
träge Bürger
in
Bewegung
setze,
muss
sie viel anschaulicher
sein und auch das Gefühl
packen.
Gleich
am Anfang
muss
der Mensch
spüren,
dass
er
wirklich
verpflichtet
ist,
sich
zu plagen,
indem
er
die
Ausdehnung
des
zu
be-
kämpfenden
Übels
drastisch
zu
fühlen bekommt. Statt dessen eine
Häufung gedan-
kenreicher
abstrakter
Unterscheidungen
zu
geben,
halte ich
für
unfruchtbar. Der
Mensch
muss
heute
soviel
reagieren,
dass blosse
Andeutungen
stets
unfruchtbar
bleiben,
weil sie
vom
Leser
nicht
ausgesponnen
werden. Denken Sie sich
nur
in die
Lage
des
ewig
pressierten
Menschen,
der eine solche
Abhandlung
in die Hände be-
kommt.-
Seien Sie
mir
nicht
böse,
wegen
meiner
Aufrichtigkeit.-
Wenn Sie sich
einmal harmlos amüsieren
wollen,
lesen Sie das bei Reklam erschienene
Büchlein
von
Macaulay
über
Friedr.
d. Gr.
Man
möcht
das Motto
beifügen:
Wie die alten
sangen,
so
zwitschern
die
Jungen.[8]
Innige
Grüsse
von
Ihrem
Einstein.
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