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DOCUMENT
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SEPTEMBER 1915
die Leute Sinn
haben
für
anständige
und noble Denkweise. Dies ist
es,
was
ich
auf
der
andern Seite
so
schmerzlich vermisse. Herrschsucht und
Machtgier haben
überall den Sinn
der
oberen Schicht
vergiftet;
aber
es
fehlte
wenigstens
in Frank-
reich die
Einheitlichkeit
und
Konsequenz
in dem Übel. Ich bin ferner
überzeugt,
dass das
Evangelium, es
sei die brutale
Waffenmacht
die
Grundlage jeglicher
Exi-
stenz,
in
Deutschland
seine
Hauptstütze
findet.
Sogar
das
schandvolle
Regiment
in
Russland findet in
der
deutschen
regierenden
Schicht eine
mächtige
Stütze.
Es freut mich
sehr,
wenn
in
der Schweiz sich die Erkenntnis
von
dem Sitz der
wahren Gefahr
Bahn
bricht,
und ich
glaube
zuversichtlich,
dass diese einfache Er-
kenntnis trotz Presse
durchdringen muss.
Die Presse!
Der
Artikel im Volksrecht
über
die
Eingabe
Intellektueller in der
Annexionsfrage
ist
von
der
bürgerlichen
Presse mit
Stillschweigen übergangen
worden.[5] Ist das
Angst?
Haben sich sonst
wo
Gelehrte
von
Ansehen
zu so
etwas
hergegeben?
Es thut mir
leid,
dass ich Sie mit dem Pass bemühe.[6] Zurückkommen
konnte
ich aber kaum da die Pflichten der verschiedenen
Abschiede,
denen ich
so
glimpf-
lich
entgangen
war,
mir
bedrohlich erschienen. Ich sitze
ganz gern
hier
ein
paar
Tage
in der
ländlichen
Ruhe;
ich möchte
es
Ihnen auch wünschen.
Besten Dank
und
herzliche Grüsse
von
Ihrem
Einstein.
Eben kam Ihr Brief
und der Pass. Herzlichen Dank nochmals.
Der
Pole hat
mir
sehr
gefallen.[7]
Aus
dem
kann
etwas
werden.
Heute
ging
ich
aus Langeweile
ins
hiesige
Lehrerseminar, um
zu
sehen, was
man
dort
treibt,
treffe ich da einen als
Lehrer,
der früher mein
Hörer
war.[8]
Ist das
nicht
vergnüglich?
ALS
(SzZZa). [39 676].
[1]This
letter is dated
on
the
assumption
that it
was
written the
Tuesday
after
the
preceding
docu-
ment.
[2]Théophile
Delcassé (1852-1923)
was
French
Minister of
Foreign
Affairs and
a vigorous propo-
nent
of
colonial
expansion.
[3]The
Act
of
Algeciras
of
7
April
1906 had reaffirmed the
independence
of
the Moroccan
sultan,
though
it did not inhibit
the
European powers
from
continued
assertion
of
their influence in the former
North African
possessions
of
the Ottoman
Empire.
[4]Jean
Jaurès
(1859-1914),
French socialist
leader
and
pacifist, was
assassinated
on
31
July
1914.
[5]The article,
entitled
“Gegen
den
Länderraub,”
was published
in Volksrecht
18
(23 August 1915),
no.
195,
pp.
[1-2], the official
organ
of
the Social
Democratic
Party
of
Switzerland and
of
the
canton
of
Zurich.
It
is
an
extract
of
a
memorandum
(“Sollen
wir
annektieren?”),
drawn
up
in
June for the
Bund
“Neues Vaterland”
by Ludwig Quidde
(1858-1941), Chairman
of
the
German
Peace
Society
(Deutsche Friedensgesellschaft),
and
provides a
ringing condemnation
of
the
policy
of
annexation
(see
Lehmann-Russbiildt
1927,
pp.
50-53,
and
Holl
1988, p. 120).
The
Quidde
document
was a pre-
cursor
of
the
“Delbruck-Dernburg petition,”
which Einstein
had
signed
and
which
had been
published
in
July
(see
Doc.
94,
note
10).
[6]Einstein had
requested
Zangger’s
assistance
in
obtaining
a
German
reentry
visa
(see
the
preced-
ing document).
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