DOCUMENT 541 MAY 1918 763
Aber
endlich haben Sie auch-wenigstens
meiner
Meinung
nach-noch
in ei-
nem
dritten Punkte nicht
ganz
recht:
wenn
Sie nämlich Ihre Schweizer
Staatsange-
hörigkeit anführen;
denn
um
Staatsangehörigkeit
handelt
es
sich hier erst in
zweiter
Reihe. Sie
sind Deutscher
(und
repräsentieren
zudem noch
ganz
allein für sich ein
Stück deutscher
Kultur)
und dann sind Sie auch
Europäer
und das
gilt es
ja
heute
vor
allem
zu
betonen. Ich
wenigstens
bin heute noch viel stärker als
damals,
als wir
den
Aufruf
an
die
Europäer verfaßten,
der
Ueberzeugung,
daß eine
Rettung
vor
dem kommenden Kulturzusammenbruch
nur
dann
möglich
sein
wird,
wenn
sich
der
europäische
Gedanke-pur
et simple-durchzusetzen
imstande ist. Und
zwar
muß dieser Gedanke
einer
weltweiten
Kulturorganisation
die Massen
zum
minde-
sten ebenso
begeistern
wie
vor
2000 Jahren
es
der
Gedanke des Christentums
getan
hat, Davon,
daß
einige Ideologen
sich für
derartige
Ideen
einsetzen,
davon wird die
Welt nicht
gesund.
Die
Massensuggestion
muß hinzu kommen. Aber
gerade
weil die Gefahr im Au-
genblick so groß
ist,
gerade
darum
glaube
ich,
daß der
gesunde
Sinn der Mensch-
heit
es
instinktiv
begreifen
wird und
nicht
dulden
wird,
daß diese schöne Erde
so
geschändet
wird. Ich
glaube, das, was
wir heute als
ganz
vereinzelte
vertreten, mor-
gen
der
Besitz
der
Gesamtheit sein wird.
Irgend
ein Anlaß,-vielleicht ein
ganz
be-
naler,-irgend ein
Mensch,-vielleicht
ein
ganz
törichter,-wird
kommen und die
Gesundung
wird da sein.
Sie können
ja
nun
vielleicht
sagen,
wer so
fest
an
etwas
glaubt,
brauchte darum
nicht
erst
zu
kämpfen.- Sie haben
ganz
recht,
auch ich halte
es
für ziemlich
über-
flüssig;
aber
andererseits!-vielleicht
könnte doch auch
gerade
mein Tun der mi-
nimale Anstoß
sein,
der
nötig
ist,
um
ein labil
gewordenes Gleichgewicht
umzusto-
ßen und diesen
Organismus
einer
neuen
Gleichgewichtslage
zuzuführen,
die dann
wieder
einmal für
einige
tausend Jahre bestehen könnte.
Sehen
Sie,
verehrter
Herr
Professor,
dieser törichte
Krieg
und sein
Ausgang
in-
teressiert mich schon
gar
nicht
mehr,
aber für die kommende
Zeit
für das kommen-
de
Europa,
da sollte
man
etwas tun
und
vielleicht
überlegen
Sie
es
sich,
ob Sie nicht
doch einmal
als
Europäer
zu
den
Europäern
sprechen
und dazu helfen
wollen,
daß
all
das,
was
sich heute
in
Winkeln und
vereinzelt
herumdrückt,
gesammelt
wird
und
zu
Gehör
kommt.[4]
Heute würde
man
schon mehr
Erfolg
haben als
vor
vier Jahren. auch in Deutsch-
land[5]
Nur muß
man
sich
nicht
gerade an
die Bonzen wenden!
mit
herzlichem
und
hochachtungsvollem
Gruß Ihr
aufrichtig ergebener
Georg
Nicolai.
TLS.
[44 561].
Substantially
reprinted
in
English
translation in
Nathan and
Norden
1960,
pp.
7-8.
The closure is added
by
hand.
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