D O C U M E N T 9 9 S E P T E M B E R 1 9 1 9 1 4 7
99. To Pauline Einstein
[Berlin,] Freitag. [5 September 1919]
Liebe Mutter!
Aus Deinen Berichten sehe ich leider, dass Du immer noch recht geplagt
bist.[1]
Das Leben ist keine Kleinigkeit. Uns geht es allerdings gut gegenwärtig. Nur die
Beschwerden, die von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage kommen, machen
sich fühlbar. Wir müssen ein Zimmer abgeben
(vermieten).[2]
Der Fahrstuhl geht
von morgen an nicht mehr, sodass jeder Ausgang eine Bergpartie bedeutet, und
ausserdem steht uns grosses Frieren im Winter
bevor.[3]
Dagegen kriegt man für
teures Geld wenigstens was zu
essen.[4]
Das Schönste an meinem gegenwärtigen
Leben besteht darin, dass ich mit Prof. Katzenstein öfter
segle.[5]
Es kam schon
zweimal dazu, und Montag wollen wir wieder gehen. Sonst studiere und arbeite
ich, ohne etwas besonders Wichtiges unter der Feder zu haben. Das schöne Wetter
nütze ich gehörig aus, indem ich mich viel auf dem Balkon aufhalte, der etwas von
einem Höhenluft-Kurort hat. Heute Abend gehen wir zu
Moszkowski,[6]
sonst aber
haben wir eigentlich keinen regelmässigen Verkehr. Ob wohl Guste Hochberger zu
Dir kommen kann? Schwierigkeit macht die Valuta. Ich kann ihr kein Schweizer
Geld pumpen, weil ich gar kein übriges habe und bei dem katastrophalen Kurs nur
wechsle, wenn es unbedingt nötig
ist.[7]
Sage Pauli, dass ich Meinhadt geschrieben
aber noch keine Antwort habe. Ich werde dann schreiben, wenn ich Bescheid er-
halten
habe.[8]
Ogden und Alice kommen nächstens hierher Sie haben geschrie-
ben.[9]
An Onkel Cäsar wird geschrieben
werden.[10]
Seine Berichte sind sehr ver-
misst worden. Die Kinder sind vorgestern zurückgekommen, gewöhnen sich aber
nicht so leicht wieder
ein.[11]
Wir haben im Sinne, nächstes Jahr nach Potsdam zu
ziehen, wenn es möglich ist, d. h. wenn 〈etwas zu〉 eine Wohnung zu bekommen ist.
Die Kollegen sind alle verreist. Von der Sonnenfinsternis hörte man immer noch
nichts. Dagegen werde ich sehr oft mündlich und schriftlich nach dem Ergebnis
gefragt.[12]
Paulas Hans macht nächstens die Maturität, ein schwierieges Unterneh-
men, wenn man nicht die reguläre Schule hinter sich
hat.[13]
Es scheint mir, dass
die Politik langsam in ruhigere Bahnen kommt. Die neuen Männer haben es lang-
sam gelernt zu
regieren,[14]
und die Vielen sind der Politik müde. Ich lese nicht im
nächsten Semester; ich habe etwas genug von dem vielen Kolleg-Halten im vergan-
genen
Jahre.[15]
In Zürich habe ich auch schon mitgeteilt, dass ich nicht mehr dort
lese.[16]
Nun wünsche ich Dir von Herzen gute Besserung. Plage Dich nicht mit Schrei-
ben, wenn es Dir zuviel Mühe macht. Ich werde Dir doch schreiben.
Beste Grüsse an Dich, Maja, Pauli, auch an die Schwester, Frau Dann und Frl.
Doktor.[17]
Dein
Albert.
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