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133. To Carl H. Becker
[Berlin,] Den 15. Okt. 19.
Herr
Unterstaatssekretär![1]
Kollege Born schickt mir das beiliegende Schreiben mit dem Auftrage, es an Sie
weiter zu
geben,[2]
indem er es mir anheim stellt, Stellung dazu zu nehmen. Ich bin
der festen Ueberzeugung, dass seine Ausführungen leider der Wirklichkeit ganz
entsprechen. Die letzte Ursache für den beklagenswerten Niedergang sehe ich in
dem Schwinden der Kraft des wissenschaftlichen Ideals in den Fakultäten. Besse-
rung könnte nur dadurch erzielt werden, dass in irgend einer Weise Männern, die
sich durch zweifellos bedeutende Leistungen ausgewiesen haben, ein entscheiden-
der Einfluss auf die Auswahl der Professoren eingeräumt würde. Ob es hierfür ei-
ner gesetzlich festgelegten Form bedürfte oder nicht, ist eine mehr sekundäre Fra-
ge, auf die ich hier nicht eingehen will.
Aber ich erlaube mir, diese Gelegenheit zu benutzen, wieder auf zwei Fälle hin-
zuweisen, in denen der deutschen Wissenschaft schwer Schädigung droht.
1. Die Fakultät in Bonn hat für die dortige ordentliche Physikprofessur (im Wi-
derstand gegen eine sich tapfer wehrende Minderheit) Herrn Konen, eine wissen-
schaftliche Null
vorgeschlagen.[3]
2. Das geodätische Institut in Potsdam, bisher eines der angesehensten wissen-
schaftlichen Institute der Welt in diesem Fache, ist in Gefahr unter die Leitung ei-
nes Generals zu kommen, dem wissenschaftliche Aufgaben ferne
liegen.[4]
Kommt
diese Wahl zustande, so bedeutet es eine schwere Schädigung unserer wissen-
schaftlichen Interessen und eine noch schwerere Schädigung des Ansehens der
deutschen Wissenschaft im
Auslande.[5]
Ich lege zwei Briefe bei, die sehr geschätzte Kollegen über diese beiden Ange-
legenheiten an mich gerichtet haben.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
TLC. [43 222]. Addressee’s name is typed above salutation: “Herrn Unterstaatssekretär Becker
Berlin.”
[1]Carl H. Becker (1876–1933) was undersecretary of state in the Ministry of Education.
[2]Max Born to Carl H. Becker, 13 October 1919 (GyBSa I. HA, Rep. 92 Becker, Mappe Nr. 7010).
In his approving comments on Becker 1919, Born criticized the current situation in German academia.
He deplored the preference given in professorial appointments to narrowly specialized mathemati-
cians. He listed the degradation of Felix Klein’s emphasis on “practical mathematics” to calculational
wizardry (“Rechen- und Zeichenkünsten”), the overappreciation of traditional geometry, and finally
an overreaction to the earlier predominance of Göttingen mathematics, with the consequence that
eminent mathematicians from the Göttingen school were now being neglected in academic appoint-
ments. Born explained that he would not elaborate on the two principal issues of Becker’s pamphlet,
namely, combating narrow specialization and revising the status of extraordinary professors and Pri-
vatdozenten. On Becker’s educational philosophy, see Müller, G. 1991.
[3]See Doc. 100 for an earlier negative assessment of Heinrich Konen.
[4]For fears of “militarization” of the Geodetic Institute in Potsdam prior to this date, see Doc. 130.