2 6 4 D O C U M E N T 1 8 7 D E C E M B E R 1 9 1 9
187. To Adriaan D. Fokker
[Berlin, after 1 December
1919][1]
Lieber Herr Fokker!
Meine Zeit ist so sehr durch Reflexbewegungen und Nichtigkeiten ausgefüllt,
dass Sie mir verzeihen müssen, wenn ich Ihnen erst jetzt die Abhandlungen sende
und Ihren lieben Brief
beantworte.[2]
Mein politischer Optimismus hat auch einen
Stoss erlitten. Es scheint sich jeder zum „Preussen“ zu entwickeln, der Gelegenheit
dazu hat. Es kommt mir allmählich das Getriebe im Grossen so hoffnungslos vor,
dass ich anfange, die politische Uninteressiertheit und internationale Gesinnung
der Geistigen früherer Jahrhunderte als das einzig Erstrebbare und Erstrebenswerte
zu
empfinden.[3]
In Holland war es sehr schön, und wir gedachten dort auch oft Ihrer und De Sit-
ters, dass Sie so lange da oben in der Einsamkeit sein
müssen.[4]
Wenn ich mit mei-
nem gegenwärtigen Leben vergleiche, kann ich Sie aber mit gutem Gewissen trö-
sten. Wintersonne und Stille statt Nebel, Telegramme, Telephongebimmel, Stössen
von Briefen, zu begutachtenden Manuskripten etc. Von De Sitter höre ich mit Freu-
de, dass Sie nun wieder von Ihrer Frau ein Kindchen erhalten haben; Gott beschüt-
ze es und lasse Sie früheres Missgeschick
vergessen.[5]
Meine Mutter wird bald
hierher zu uns gebracht. In einigen Monaten hat sie ausgelitten.
Ob ich das Elektron in jener Arbeit richtig aufgefasst habe, ist zu bezweifeln.
Lorentz argwöhnt Instabilität. Es ist schliesslich der Poincarésche Druck, in die all-
gemeine Relativität
übersetzt.[6]
Auf Ihre neue Arbeit bin ich recht
gespannt.[7]
Es
ist so fabelhaft merkwürdig, wie genau die Elektrodynamik in gewissen Gedanken-
gängen standhält, während sie an anderen total
scheitert.[8]
Seien Sie mit Ihrer Frau und De Sitter herzlich gegrüsst von Ihrem
Einstein
De Sitter schreibe ich besonders.
P. S. Die englischen Fachgenossen haben nicht nur ausgezeichnete Arbeit geleistet
sondern sich auch vortrefflich benommen in menschlichem
Sinne.[9]
Heute bekam
ich sogar von Eddington einen sehr lieben Brief, in dem er auch Herrn Freundlichs
gedenkt.[10]
Bis jetzt habe ich mich nur in der Times in einem kleinen Artikel bei
ihnen
bedankt,[11]
weil ich bei den jetzigen Umständen nicht wusste, ob eine per-
sönliche Ansprache möglich bezw. erwünscht sei. Jetzt aber sehe ich dass diese
Männer wirklich über der Situation stehen. Diese Freude habe ich zum grossen Tei-
le De Sitter zu verdanken, der die Theorie durch seine Arbeiten erst den Engländern
erschlossen hat—ganz abgesehen von dem was er Neues hinzugefügt
hat.[12]
ALS (NeLR, Archief A. D. Fokker). [9 260].