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noch grosse Schwierigkeiten zu überwinden, da wir Zimmer im Hause suchen
mussten.[2]
Sonst geht alles gut, nur dass mir infolge des Zeitungsrummels wegen
der Sonnenfinsternis die Leute alle sehr zusetzen. Alles will Artikel, Vortrag, Pho-
tograph[ie] etc; die Sache erinnert an das Märchen „das Kleid des Königs“, aber es
ist eine harmlose
Narretei.[3]
Die hiesigen Kollegen und Behörden rechnen es mir
hoch an, dass ich nicht der Konjunktur nachlaufe sondern tapfer hier ausharre. Seit
es den Leuten schlecht geht, gefallen sie mir unvergleichlich besser. Das Unglück
steht den Menschen unvergleichlich besser an als der Erfolg. Debye scheint immer
noch nicht fest entschloss[en] zu sein, wie er mir schrieb. Man macht hier sehr
grosse Anstrengungen ihn zu
halten.[4]
Er ist ein sehr begabter und tüchtiger
Mensch; eine bessere Wahl hättet Ihr kaum treffen können. Er passt auch seiner
ganzen Art nach sehr gut nach Zürich. Hier krystallisiert sich jenseits von der offi-
ziellen Intelligenz allmählich doch so etwas wie ächte republikanische Gesinnung
aus. Der feinste Kerl dieser Art, den ich bis jetzt kennen lernte, ist der gegenwärtige
Minister des Innern
Heine;[5]
der würde Ihnen auch gefallen. Ist Albert schon bei
Ihnen[?][6]
Ich sehne mich oft nach ihm. Er ist schon ein Mensch mit eigenem
Kopf, mit dem man reden kann, und so durch und durch gesund in seiner graden
Art. Er schreibt selten, aber ich weiss, dass es ihm nicht liegt. Er hat so das Gefühl,
dass das, was er sagen könnte, nicht gesagt zu werden braucht. Es ist gut, dass er
nicht in der grossen Stadt mit ihrem verflachenden Einfluss aufgewachsen ist. Aber
ich bitte Sie sehr, mir moralisch beizustehen, dass den dreien der Wohnungswech-
sel nach Durlach im Frühjahr leicht
fällt.[7]
Es soll ihnen alles sehr erleichtert wer-
den.
Der Basler Kongress findet nicht statt, sodass ich jetzt nicht zu verreisen
brauche.[8]
Ich lese nicht mehr an der Züricher Universität. Die Physik ist jetzt in
Zürich so gut vertreten, dass es Überhebung wäre, und es fiele mir auch schwer, so
viel Zeit zu
erübrigen.[9]
Ich werde nämlich mit der Berühmtheit immer dümmer,
was ja eine ganz gewöhnliche Erscheinung ist. Das Missverhältnis zwischen dem,
was man ist, und dem, was die andern von einem glauben oder wenigsten sagen, ist
gar zu gross. Man muss es aber mit Humor tragen. Mein Freund Besso geht wieder
aufs
Patentamt.[10]
Der Arme unterscheidet sich gar zu viel vom Tier—alles Vor-
stellung und kein Wille, Verkörperung von Buddas Ideal. Er passte besser in den
Orient. Dies leuchtete mir besonders ein, als ich vorgestern einen Abend mit eini-
gen feinen Chinesen zubrachte; die haben nichts von unserer Ziel- und Zweck-
Besessenheit. Schade um sie und um die chinesische Mauer!
Seien Sie herzlich gegrüsst von Ihrem
Einstein.
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