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kommt es mir vor, ich bliebe lieber in
Frankfurt.[1]
Denn mir wäre es unerträglich,
auf einen kleinen Kreis aufgeblasener und meist engherziger (und -denkender) Ge-
lehrter so ganz angewiesen zu sein (kein anderer
Verkehr).[2]
Denkt daran, was Hil-
bert ausgestanden hat von dieser
Gesellschaft.[3]
Noch etwas ist zu beachten. Wenn
an Max die Notwendigkeit herantritt, nebenbei etwas zu verdienen, was man doch
bei den unstabilen Verhältnissen nicht ohne weiteres wird verneinen können, so ist
es unvergleichlich besser, in Frankfurt zu wohnen als in Göttingen. Andererseits
mag allerdings das Leben in Göttingen für die Hausfrau viel angenehmer sein als
in Frankfurt und auch besser für die Kinder; aber das kann ich nicht beurteilen, weil
ich ja die Frankfurter Verhältnisse nicht genügend kenne.
Endlich ist es nicht so wichtig, wo man sitzt. Am besten ist es, Ihr folgt Eurem
Herzen, ohne zu viel nachzudenken. Ausserdem fühle ich mich als nirgends wur-
zelnder Mensch nicht zum Raten befugt. Die Asche meines Vaters liegt in Mailand.
Meine Mutter habe ich vor einigen Tagen hier zu Grabe
getragen.[4]
Ich selbst bin
unausgesetzt herumgegondelt—überall ein Fremder. Meine Kinder sind in der
Schweiz unter solchen Umständen, dass es für mich an ein umständliches Unter-
nehmen geknüpft ist, wenn ich sie sehen will. So ein Mensch wie ich denkt es sich
als Ideal, mit den Seinen irgendwo zuhause zu sein; er hat kein Recht, Euch in die-
ser Sache zu raten.—
Die Betrachtung über die Ionen-Beweglichkeit hat mich sehr interessiert; ich
glaube, dass die Idee richtig
ist.[5]
Ich brüte in meiner freien Zeit immer über das
Quantenproblem vom Standpunkt der Relativität. Ich glaube nicht, dass die Theo-
rie das Kontinuum wird entbehren können. Es will mir aber nicht gelingen, meiner
Lieblingsidee, die Quantenstruktur aus einer Überbestimmung durch Differential-
gleichungen zu verstehen, greifbare Gestalt zu
geben.[6]
In der Hoffnung, dass dieser Brief Euch alle vier gesund und vergnügt antrifft,
bin ich mit besten Grüssen Euer
Einstein.
Beste Grüsse von meiner Frau. Stern lasse ich
gratulieren.[7]
Auf Frau Born freuen
wir uns alle sehr.
ALS (GyB, Nachl. Born, Nr. 188, Bl. 12). Einstein/Born 1969, pp. 48–49. [8 146].
[1]On David Hilbert’s effort to win Max Born as Peter Debye’s successor at the University of Göt-
tingen, see Doc. 318. Einstein gave a glowing description of Born’s talent in Doc. 322. The plural is
intended to include Einstein’s frequent correspondent, Hedwig Born.
[2]For a lively comparison between Göttingen and Frankfurt am Main in the same vein, see Hedwig
Born to Elsa Einstein, 26 May 1920.
[3]On Hilbert’s fight for theoretical physics at the University of Göttingen, see Doc. 341, and on
his tense relations with many colleagues in general, see Rowe 1986, especially pp. 447–449.
[4]Hermann Einstein was buried in Milan; Pauline Einstein was buried 23 February 1920 in the
Berlin-Schöneberg I cemetery (see entry of this date in Calendar).
[5]Born 1920c explains an anomaly of an application of Einstein’s idea of treating solute molecules
as rigid spheres in a continuous viscous liquid (Einstein 1906a [Vol. 2, Doc. 15]) to the problem of