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386. From Hans Wittig[1]
Magdeburg, Freiligrathstr. 76 II, den 20. April 1920.
Hochverehrter Herr Professor!
Bereits vor einigen Wochen (anläßlich des Falles mit den von übernationaler
Grippe verseuchten
Grünlingen)[2]
wollte ich mir erlauben, Ihnen zu schreiben,
aber damals hielt mich eine Konzeption gänzlich im Banne. Obwohl ich nicht die
Ehre habe, Ihnen bekannt zu sein, gestatte ich mir nun, mich an Sie zu wenden in
der Erwartung, dass Sie die weiteren Erfolge bezw. Bewegungen der von Ihnen in
den Sattel gesetzten „Relativität“ neben Ihren neuen Arbeiten verfolgen wollen.
Ich beschäftige mich seit Februar ds. Js. mit der Einstellung der Philosophie auf
die neue Naturwissenschaft. Beide Disziplinen waren nach Ihrem strategischen
Vormarsche in eine, alle Intellektuellen der Erde betrübende Diskordanz geraten.
Ausserordentlich sympathisch berührte die Offenheit Pr. Weyl’s, mit der er bei aller
Exaktheit seines physikal-math. Vorgehens erklärte, auf die erkenntnistheoreti-
schen Fragen keine zureichende Antwort geben zu
können.[3]
Dagegen verfielen
die Dolmetscher zumeist in subjektive Hilfslosigkeiten. Bloch z. B. sagt Teubner
[A. N. u. G. Bd. 618. S.
83ff.][4]
„es ist garnicht derselbe Begriff, den sie meinen
(der Phys. und der Phil.), wenn sie das gleiche Wort (Zeit) gebrauchen“. Diese Aus-
sage nach Kant, der in der euklid. Geometrie wurzelte wie ein Geranium im Blu-
mentopf!!—
Ich versuchte auf andre Weise voranzukommen. Rein intuitiv gelangte ich zu ei-
ner Hypothese (die in einer künftigen Arbeit erst in ein grösseres Ganzes eingeord-
net werden soll): Allgemeine Erweiterung des Energie-Gesetzes auf psychische
Phänomene; Psychisches Feld-Gesetz: (vorläuf. Fassung)
„Psychische Energie geht stets von Bezirken höherer Valenz auf solche niedri-
gerer Valenz über“.
In diesen, intuitiv an geschichtlichen Phänomenen erfassten Gesetzes-Rahmen
spannte ich mein Suchen ein: Physik = heuristisch zur Zeit Gebiet höchster Valenz;
Philosophie = rückständig. Folglich muss Bewegung eintreten.
Seit einigen Wochen glaube ich die Diskordanz (in erster Annäherung) so weit
vermindert zu haben, dass ein Übergang der phys. Formalisierungen auf die Psy-
chologie (denn die ist zunächst zuständig, nicht die Erkenntnistheorie!) stattfinden
kann.
Meine berufliche Belastung (Statiker bei einer Prüfungsstelle) wird mir das Her-
ausbringen der ersten Anprobe (das Maßnehmen geht leider (oder Gott sei Dank?)
Physik
Philosophie
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