DOCUMENT 391 IMPRESSIONS IN JAPAN 611 (338) persönlichen Ausdruck des Künstlers stets eine grosse Erfahrung vor- aussetzt, entgeht mir die Beziehung zum gesprochenen und gesungenen Wort, das ja bei den meisten japanischen Musikstücken eine erhebliche Rolle spielt. Für die künstlerische Einstellung der japanischen Seele scheint es mir charakteristisch, dass als Blasinstrument nur die zarte Flöte auftritt, nicht aber die viel grelleren Blasinstrumente aus Metall. Es zeigt sich auch hier die besonders in der japanischen Malerei her- vortretende und in der Ausgestaltung der Gegenstände des täglichen Lebens so charakteristische Vorliebe für das Liebliche und Zierliche. Am meisten wirkte die Musik auf mich, wenn sie dazu diente, ein Theaterstück oder eine stumme Handlung (Tanz) zu begleiten, ins- besondere beim Noh-Spiel. Der Ausgestaltung der japanischen Musik zu einer Kunstgattung grossen Stiles steht meiner Meinung nach der Mangel an formaler Gliederung und architektonischem Aufbau im Wege. Das Herrlichste, was für mich an japanischer Kunst existiert, liegt [26], [27] auf dem Gebiete der Malerei und Holzschnitzerei. Hier zeigt sich so recht, dass der Japaner eine formfreudiger Augenmensch ist, der das Geschehene unermüdlich künstlerisch gestaltet, in stilisierte Linie ver- wandelt. Kopieren der Natur im Sinne unseres Realismus ist dem Japaner fremd, ebenso die religiöse Abkehr von Sinnlichen trotz dem Einfluss des der japanischen Seele innerlich fremden Buddhismus des [28] asiatischen Festlandes. Alles ist ihm Erlebnis in Form und Farbe, naturwahr und doch insofern naturfern, als stets eine weitgehende Stilisierung vorherrscht Klarheit und einfache Linie liebt er über alles. Das Gemälde wird stark als Ganzes empfunden. Nur wenige der grossen Eindrücke, die ich in diesen Wochen empfing, konnte ich erwähnen, nichts sagend über die politischen und [29] sozialen Probleme. Auch über die Besonderheit der japanischen Frau, dieses blumen-ähnlichen Wesens-schwieg ich denn hier muss der ge- [30] wohnliche Sterbliche dem Dichter das Wort lassen. Doch eines liegt mir noch am Heizen. Mit Recht bewundert der Japaner die geistigen [31], [32] Errungenschaft des Westens und versenkt sich mit Erfolg und grossem Idealismus in die Wissenschaften. Möge er aber dabei nicht vergessen, die grossen Güter rein zu erhalten, die er vor dem Westen voraus hat, die künstlerische Gestaltung des Lebens, die Schlichtheit und An- spruchslosigkeit in den persönlichen Bedürfnissen, und die Reinheit und Ruhe der japanischen Seele.
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