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337 MAY 1917
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1.
Immer erschien mir
der
Kreisel sinnlos. Wenn er genau gearbeitet
ist-
woher
weiss
er,
dass er sich dreht? Woher kennt er die Richtung im Raume, gegen die er
sich nicht neigen lassen will? Auch wenn ich ihn in eine Kiste stecke und blind
ma-
che, kennt er den Polarstern. Ich habe immer dunkel gefühlt, dass er sich nur dreht,
wenn er einen
Zuschauer
hat. Aber
wenn-dann
müsste er sich doch gegen das
Herantreten eines solchen Zuschauers aus der
Unendlichkeit
durch Gegenkräfte
wehren. Giebt es solche?
2.
Seitdem es D-Züge giebt, war das Wandern im Corridor mir nicht nur eine
Qual, sondern auch
ein
Problem, also
ein
Vergnügen. Oft stellte ich mir einen
D–
Zug vor, der von Berlin nicht ganz bis Paris, sondern nur bis
St.
Quentin reicht. Und
darin einen Kleineren, bis nach Verviers. U.s.w. Da wäre man ziemlich schnell
nach Paris gekommen.[4] Na, das hat sowieso
ein
Ende-also
verliere ich nicht viel.
3.
Je kleiner die Insekten sind, desto schneller bewegen sie sich. Man
hat
ein
tra-
ditionelles Mitleid mit Eintagsfliegen. Ich sagte mir manchmal: vielleicht ist das
nicht
so
schlimm, am Ende nimmt die Zeit mit der Masse
ab.-
Oder auch nur das
Zeitgefühl?-
Müsste man das Allegro der Vten für eine solche Mücke spielen, so
wäre es in einer Minute zu Ende, sonst hielte sie es für einen Trauermarsch in
Cdur.[5]
Nun
hängt
die Zeit
wirklich
von
der
Bewegung
ab!
Aber
man
merkt
es
nicht!
Und trotzdem
war
das Automobilfahren
kurzweilig.
(Jetzt
wird
es
immer
blödsinniger
und
verworrener;
ich
glaube,
Sie sollten nicht
weiter
lesen. Aber schliesslich: alle Gedanken entstehen
aus
Elementen
des Irr-
sinns;
es
ist
nur
ein
kritischer
Cement,
der sie
leimt,
und der fehlt
hier.)
4.
Eine Sache, die gar nicht dazu gehört, und
mir
doch
so
vorkommt, als ob sie
einen entfernten Bezug hätte: die Geschichte mit der Entropie hat mir
immer
ge-
fühlsmässig widerstrebt. Es ist mir, als ob sie nur innerhalb einer Badewanne
rich-
tig wäre. Und überdies: was wird aus den Lichtstrahlen, die ins Weite gehen, ohne
einen Körper zu treffen? Solange
ein
Medium da ist: gut. Aber warum soll das nicht
ein
Ende
nehmen-oder
eine Unterbrechung haben?
5.
Eine metaphysische Spielerei.
Ein
Gefühl sagt mir, dass im Absoluten alles
ruht.
Bild-etwa
vom Geist unseres Herrgotts: eine italienische Reise. Ich fahre
kreuz und quer, erlebe Minute für Minute, registrire, mache Schnitte durch das
Land. Ich komme nach Hause und habe eine Vorstellung: Italien. Eine Vorstellung,
wie vom Geschmack einer Frucht, oder vom Wesen einer Frau. Ich kann das wieder
aufrollen (durch Erinnerungsschnitte) und thue das, wenn ich mir eine Einzelfrage
beantworten will. Sonst aber
ruht
Italien in mir, ist gegenwärtig, bewegt und doch
unbewegt. Ich besitze das Ganze (leider nur Redensart, denn Reise und Leben sind
endlich)-oder
ich besitze doch wenigstens
ein
Ganzes.
Hier hat
mich
nun
Ihr
Bild
von
den beiden
Blitzschlägen
und der
Eisenbahn
ge-
packt[6]
(übrigens
mache ich
mir
zwei
Dynamitexplosionen
und einen
Zarenzug
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