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Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtstrahles relativ zum Wagen ergibt sich also als
kleiner als c.
Das Gesetz der Lichtausbreitung im Aether muesste naemlich nach dem Relativitaets-
prinzip wie jedes andere allgemeinen Naturgesetz fuer den Wagen als Bezugskoerper
gleich lauten wie fuer den Lichtstrahl als Bezugskoerper. Das erscheint aber nach unserer
Betrachtung unmoeglich. Wenn sich jeder Lichtstrahl in bezug auf den Saal mit der Ge-
schwindigkeit c fortpflanzt, so scheint eben das Lichtausbreitungsgesetz in bezug auf den
Wagen ein anderes sein zu muessen, in Widerspruch mit dem Relativitaetsprinzip.
Nun erscheint es unerlaesslich, entweder das Relativitaets-Prinzip oder das einfache Ge-
setz der Fortpflanzung des Lichtes im Aether aufzugeben. Gewiss werden Sie denken, dass
das Prinzip der Relativitaet, das sich durch seine Natuerlichkeit und Einfachheit dem Geiste
als fast unabweisbar empfiehlt, aufrecht zu erhalten sei, dass aber das Gesetz der Lichtaus-
breitung im Aether durch ein komplizierteres, mit dem Relativitaets-Prinzip vereinbares
Gesetz zu ersetzen sei. Die Entwicklung der theoretischen Physik zeigte aber, dass dieser
Weg nicht gangbar ist. Die bahnbrechenden theoretischen Forschungen von H. A. Lorentz
ueber die elektro-dynamischen und optischen Vorgaenge in bewegten Koerpern zeigten
naemlich, dass die Erfahrungen in diesen Gebieten mit zwingender Notwendigkeit zu einer
Theorie der elektromagnetischen Vorgaenge fuehren, welche das Gesetz der Konstanz der
Lichtgeschwindigkeit im Aether zur unabweisbaren Konsequenz hat. Deshalb waren die
fuehrenden Theoretiker eher geneigt, das Relativitaetsprinzip fallen zu lassen, trotzdem
sich keine einzige Erfahrungstatsache auffinden liess, welche diesem Prinzip widerspre-
chen haette.
Wir kommen dazu, uns mit aller logischen Strenge die Frage vorzulegen: Ist es nicht
moeglich, dass das Gesetz der Lichtfortpflanzung sowohl in bezug auf K als auch auf
Geltung hat? Die spezielle Relativitaets-Theorie beginnt damit, dass sie in der Tat willkuer-
liche Voraussetzungen in dieser Richtung findet. Der Beweispunkt welcher hier in Betracht
kommt, ist die Theorie der Zeiteinteilung. Hiermit verhaelt es sich so: Wenn zwei Ereignis-
se unmittelbar nebeneinander passieren, am gleichen Ort stattfinden, so ist gar kein Zweifel
wenn wir sagen wollen, die Ereignisse seinen gleichzeitig. Wenn es sich aber von entfern-
ten Ereignissen handelt, dann ist es nicht so einfach. Wir haben zwar die Illusion, dass wir
mit intuitiver Sicherheit zu wissen glauben, was es bedeutet wenn wir sagen: Zwei an ent-
fernten Orten stattfindende Ereignisse seien gleichzeitig. Gewoehnlich sind die Raeume
welche uns interessieren so klein, dass wenn wir durch das Licht Kunde erhalten von ir-
gendwelchen Ereignissen, wir die Dinge gleichzeitig sehen wenn sie geschehen. Wenn ich
zum Beispiel an zwei Punkten in diesem Raume eine Lampe anzuende und ich sehe sie
gleichzeitig, so sage ich, die Ereignisse haben gleichzeitig stattgefunden, und ich bin dazu
berechtigt, weil die Zeit, welche das Licht braucht um uns Kunde zu geben von zwei Ereig-
nissen, fuer uns gar nicht in Betracht kommen kann. Auseinander verhaelt sich die Sache
etwas anders. Man denke sich zwei Sterne, welche weit auseinander sind und welche
ploetzlich aufleuchten, und wir denken uns zwei Astronomen die auf verschiedenen Ster-
nen sitzen. Der eine sagt diese beiden Himmelsereignisse seien gleichzeitig, der andere sagt
sie seien nicht. Wie sollen sich diese Maenner einigen? Es ist klar, dass sie nur dann sich
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