C H I C A G O L E C T U R E S 5 2 3
Man kann unmoeglich aus dem Satz von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ohne
weiteres schliessen, dass der Lichtstrahl sich geradlinig fortpflanzt im leeren Raum. Ich
will darauf nicht weiter eingehen. Wir haben ja gesagt, das System K soll ein Inertialsystem
sein und wir werden anzunehmen haben, dass in bezug auf K ein Lichtstrahl sich geradlinig
ausbreitet.
Analog suche ich in der klassischen Mechanik, bzw. in der speziellen Relativitaetstheo-
rie vergeblich nach einem realen Etwas, auf das ich das verschiedene Verhalten der Koerper
gegenueber dem Bezugssystem K und zurueckfuehren koennte. Diesen Einwand sah
schon Newton und suchte ihn vergeblich zu entkraeften. Am klarsten hat ihn aber E. Mach
erkannt und seinetwegen gefordert, dass die Mechanik auf eine neue Grundlage gestellt
werden muesse. Dieser Einwand laesst sich nur durch eine Physik vermeiden, welche dem
allgemeinen Relativitaets Prinzip entspricht. Denn die Gleichungen einer solchen Theorie
gelten fuer jeden Bezugskoerper, in was fuer einem Bewegungszustande derselbe auch sein
mag.
Ein Ergebnis von fundamentaler Wichtigkeit erhaelt man aber, wenn man die entspre-
chende Ueberlegung fuer einen Lichtstrahl durchfuehrt. Gegenueber dem Galileischen Be-
zugskoerper K pflanzt sich dieser in gerader Linie mit der Geschwindigkeit c fort. In bezug
auf den Bezugskoerper ist, wie leicht abzuleiten ist, die Bahn desselben Lichtstrahlen
keine Gerade mehr. Hieraus ist zu schliessen, dass sich Lichtstrahlen in Gravitationsfeldern
im allgemeinen krummlinig fortpflanzen. Dies Ergebnis ist in zweifacher Hinsicht von
grosser Wichtigkeit.
Erstens naemlich kann dasselbe mit der Wirklichkeit verglichen werden. Wenn eine ein-
gehende Ueberlegung auch ergibt, dass die Kruemmung der Lichtstrahlen, welche die
allgemeine Relativitaets-Theorie liefert, fuer die uns in der Erfahrung zur Verfuegung
stehenden Gravitationsfelder nur aeusserst gering ist, so soll sie fuer Lichtstrahlen, die in
der Naehe der Sonne vorbeigehen, doch 1,7 Bogensekunden betragen. Dies muesste sich
dadurch aeussern, dass die in der Naehe der Sonne erscheinenden Fixsterne, welche bei
totalen Sonnenfinsternissen der Beobachtung zugaenglich sind, um diesen Betrag von der
Sonne weggerueckt erscheinen muessen gegenueber der Lage, die sie fuer uns am Himmel
annehmen, wenn die Sonne an einer anderen Stelle am Himmel steht. Die Pruefung des
Zutreffens oder Nichtzutreffens dieser Konsequenz ist eine Aufgabe von hoechster Wich-
tigkeit, deren baldige Loesung wir von den Astronomen erhoffen duerfen.
Zweitens aber zeigt diese Konsequenz, dass nach der allgemeinen Relativitaetstheorie
das schon oft erwaehnte Gesetz von der Konstanz der Aethergeschwindigkeit, das eine der
beiden grundlegenden Annahmen der speziellen Relativitaets-Theorie bildet, keine
unbegrenzte Gueltigkeit beanspruchen kann. Eine Kruemmung der Lichtstrahlen kann
naemlich nur dann eintreten, wenn die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichtes mit dem
Orte variiert. Man koennte nun denken, dass durch diese Konsequenz die spezielle Relati-
vitaetstheorie, und mit ihr die Relativitaetstheorie ueberhaupt, zu Fall gebracht wuerde.
Dies trifft aber in Wahrheit nicht zu. Es laesst sich nur schliessen, dass die spezielle Rela-
tivitaetstheorie kein unbegrenztes Gueltigkeitsgebiet beanspruchen kann; ihre Ergebnisse
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