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Wuerden die Staebchen aber jeder Art, d. h. jeden Materials, sich in gleicher Weise tem-
peraturempfindlich verhalten auf der verschieden temperierten Tischplatte, und haetten wir
kein anderes Mittel die Wirkung der Temperatur wahrzunehmen als das geometrische Ver-
halten der Staebchen bei Experimenten analog dem beschriebenen, so koennte es wohl
zweckmaessig sein, zwei Punkten des Tisches die Entfernung 1 zuzuschreiben, wenn sich
die Enden eines unserer Staebchen mit ihnen zur Deckung bringen lassen; denn wie sollte
man ohne die krasseste Willkuer die Strecke anders definieren? Dann aber muss die Karte-
sische Koordinatenmethode verlassen und durch eine andere ersetzt werden, welche die
Gueltigkeit der Euklidischen Geometrie fuer starre Koerper nicht voraussetzt.
Ende des zweiten Vortrags
DRITTER VORTRAG
6. MAI 1921.
Meine Damen und Herren!
Wir wollen also in unserer Ueberlegung fortfahren wo wir gestern geschlossen haben.
Wir haben gesehen, dass wenn wir den Gedanken der Relativitaet weiter fortfuehren sollen,
wir auf gewisse Schwierigkeiten stossen. Wir haben gesehen, dass fuer die Legung der star-
ren Koerper die Gesetze der euklidischen Geometrie nicht gelten. Wir haben dies an einigen
Beispielen gesehen. Wir haben andererseits gesehen, dass wir in der allgemeinen Relativi-
taets Theorie von der Ergebnis der speziellen Relativitaets Theorie doch Gebrauch machen
koennen, und zwar deshalb, weil wir in der Umgebung eines jeden Punktes ein sogenanntes
Koordinatensystem einfuehren koennen, das relativ zu ihm kein Gravitationsfeld existiert
in einen unendlichen Raum. Ich habe Ihnen das deutlich gemacht in einem Koordinatensy-
stem welches in der Naehe der Erdoberflaeche ist. Nun muss ich Ihnen einiges sagen ueber
diese Methode. Dieser analoge Fall ist in der Flaechentheorie aufgetreten und ist von Gauss
behandelt worden. Ich will Ihnen in kurzen Worten zeigen, worin die Analogie jenes geo-
metrischen Problems besteht. Gauss setzte sich die Aufgabe, die Geometrie auf einer Fla-
eche zu behandeln, ohne irgendwelche Begriffe zu benutzen, welche den Raum ausserhalb
dieser Flaeche betreffen. Das bedeutet folgendes. Was bedeutet ueberhaupt die Gausssche
Methode?
Gauss hat eine Methode zur mathematischen Behandlung beliebiger Kontinua erfunden,
in denen Massbeziehungen benachbarter Punkte definiert sind. Jedem Punkte des Kontinu-
ums werden so viel Zahlen zugeordnet, Gausssche Koordinaten, als das Kontinuum Dimen-
sionen hat. Die Zuordnung erfolgt so, dass die Eindeutigkeit der Zuordnung gewahrt wird,
und dass benachbarten Punkten unendlich wenig verschiedene Zahlen zugeordnet werden.
Das Gausssche Koordinatensystem ist eine logische Verallgemeinerung des Kartesischen
Koordinatensystems. Es ist auch auf Nicht-Euklidische Kontinua anwendbar, allerdings nur
dann, wenn kleine Teile des betrachteten Kontinuums mit Bezug auf das definierte Mass
sich mit desto groesserer Annaeherung euklidisch verhalten, je kleiner der ins Auge gefas-
ste Teil des Kontinuums ist.
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