DOC. 293 ON CENTENARY OF KELVIN 459 DIE NATURWISSENSCHAFTEN Zwölfter Jahrgang 25. Juli 1924 Heft 30 [1] Zum hundertjährigen Gedenktag von Lord Kelvins Geburt. (26. Juni 1824.) Von ALBERT EINSTEIN, Berlin. W. THOMSON (Lord KELVIN) kennen und liebentung alle Physiker als einen ihrer mächtigsten und produktivsten Denker des 19. Jahrhunderts, als den Begründer einer Theoretikerschule, aus welcher der genialste Theoretiker der neuen Zeit, CL. MAXWELL hervorgegangen ist. Etwa 60 Jahre lang hat W. THOMSON, begabt mit einer reichen Phantasie, einer seltenen Leichtigkeit in der Hand-schienen habung der mathematischen Form und einem durchdringenden Verstande zu der Entwicklung der Physik und verschiedener Zweige der Technik beigetragen und eine Fülle von Leistungen von bleibendem Werte zutage gefördert nur wenigen ward solche Fruchtbarkeit zuteil. Am entscheidendsten hat W. THOMSON die Entwicklung der Physik beeinflußt, indem er gleichzeitig mit CLAUSIUS die Thermodynamik begründete, wobei beide einander wechselseitig befruchteten. Als Dreiundzwanzigjähriger schuf er den Begriff der absoluten Temperatur, einen der fundamentalsten der Physik, ohne den wir uns diese Wissenschaft heute gar nicht mehr vor- stellen können. Die Fülle der Ergebnisse, welche wir W. THOM- SON auf dem Gebiete der Wärmelehre, der Hydro- dynamik, der Elektrizitätslehre, der Nautik, der physikalischen Erdkunde, der Meßtechnik ver- danken, ist schier unübersehbar. Die Eleganz der Methode bietet dem Leser stets hohen Genuß. Der Gedanke an die organisatorischen und nicht zuletzt auch an die materiellen Erfolge lassen dies lange und reiche Leben als glänzend erscheinen. Und doch liegt in der Auswirkung dieses hohen Geistes etwas, was tragisch anmutet. THOMSONS ganzes Schaffen ruhte auf dem Fundament der Newtonschen Mechanik. Es war ein tiefer Glaube in diesem nach Einheit des Erkennens strebenden Geiste, daß alles physikalische Geschehen seinem Wesen nach Be- wegung sei, und daß NEWTONS Mechanik für das Erfassen jeglichen Geschehens letzten Endes den Schlüssel biete. Dieser Überzeugung getreu suchte er Jahrzehnte hindurch mit Aufwendung all seiner Gestaltungskraft zu einer mechanischen Theorie der Atomistik und der elektromagnetischen Er- scheinungen zu gelangen. Gegen Ende seines Lebens aber zeigte ihm die Entdeckung der Röntgenstrahlen und der radioaktiven Erschei- nungen, daß all seine Bemühungen in dieser Rich- umsonst waren, ja, daß diese seine Grund- überzeugung eine irreführende gewesen ist. Eine Periode der Unsicherheit und des Fließens der Grundlage der Physik begann, deren Ende sich heute noch nicht absehen läßt. THOMSON, dem bis nahe an sein Lebensende die letzten Grundlagen des physikalischen Erkennens als gesichert er- waren, würde schaudern, wenn er un- vorbereitet einen Blick in unsere jetzige Literatur werfen könnte. Statt einen Versuch zu machen, einen Über- blick über THOMSONS Lebenswerk zu geben, will ich lieber an ein paar einfachen Beispielen, die mich besonders entzückt haben, die Prägnanz seines erfinderischen Geistes zeigen. Wassertropfenapparat zur Erzeugung elektro- statischer Ladungen : Aus der geerdeten Wasserzuführung R treten zwei Wasserstrahlen aus, die sich im Innern der isolierten metallischen Hohlzylinder C, C' in Trop- fen auflösen, die in die mit Innentrichter ver- sehenen isolierten Stutzen A, A' fallen. C ist mit A', C' und A leitend verbunden. Ist G positiv geladen, werden die innerhalb C gebildeten Trop- fen negativ geladen und geben ihre negative Wassertropfenapparat zur Erzeugung elektrostatischer Ladungen. Einfluß der Capillar- krümmung einer flüs- sigen Oberfläche auf die Dampfspannung. Ladung an A ab, zugleich C' negativ aufladend. Infolge der negativen Ladung von C' werden die innerhalb c' sich bildenden Wassertropfen posi- tiv geladen und entladen sich in A', die positive Ladung von A' und C vermehrend. Die Ladung von C, A' und C' A steigt so, solange die Isolation einen Funkenausgleich verhindert. Einfluß der Capillarkrümmung einer flüssigen Oberfläche auf die Dampfspannung : [2] [3] Nw. 1924. 79