DOC.
48
SMOLUCHOWSKI
577
DIE
NATURWISSENSCHAFTEN
Herausgegeben von
Dr. Arnold
Berliner
und
Prof. Dr.
August
Pütter
Fünfter
Jahrgang.
14.
Dezember
1917.
Heft
50.
Marian
v.
Smoluchowski.
Von
Albert
Einstein, Berlin.
Am 5. September
wurde
uns
einer der fein-
sinnigsten zeitgenössischen
Theoretiker
jäh
durch
[1]
den Tod entrissen
-
M.
v.
Smoluchowski.
Eine
Dysenterieepidemie
raffte
in Krakau
den erst
45-jährigen
dahin.
Smoluchowskis wissenschaftliches
Ringen galt
der Molekulartheorie der Wärme. Insbesondere
war
sein Interesse auf
diejenigen Konsequenzen
der Molekularkinetik
gerichtet,
welche
vom
Stand-
punkt
der klassischen
Thermodynamik
aus
nicht
verstanden werden
können;
denn
er
fühlte, daß
nur von
dieser
Seite
her der starke Widerstand
zu
überwinden
war,
den
die Zeitgenossen
am
Ende
des 19.
Jahrhunderts der Molekulartheorie
entgegenstellten.
Derselbe
skeptische Geist,
welcher die Elek-
trodynamik
mächtig förderte, indem
er
sie
von
unzweckmäßigen
mechanischen Bildern
reinigte,
hemmte
zugleich
die
Entwicklung
der Wärme-
lehre. Nachdem
es
den Physikern
bewußt
ge-
worden
war,
daß
eine
Theorie allen Anforderun-
gen
der Klarheit und
Vollständigkeit genügen
könne,
ohne auf Mechanik
gegründet
zu
sein,
lehnten
sie auf allen Gebieten der
Physik
mecha-
nische Theorien
überhaupt ab. So begreift
man,
daß Boltzmann im Jahre
1898 im
Vorwort
zum
zweiten
Teil
seiner
"Vorlesungen
über Gastheorie"
bekümmert niederschrieb:
"Es
wäre meines
Er-
achtens ein Schaden
für
die
Wissenschaft,
wenn
die Gastheorie durch die
augenblicklich
herr-
schende,
ihr
feindselige Stimmung zeitweilig
in
Vergessenheit geriete, wie
z.
B.
einst die Undu-
lationstheorie durch die Autorität Newtons."
[2]
Schon in dieser
Vorrede
ist
auf die
im
glei-
chen Jahre erschienene theoretische Arbeit
Smo-
luchowskis über den
Temperatursprung
zwischen
Wand und Gas
bei
der
Wärmeleitung in
sehr
[3] verdünnten
Gasen
hingewiesen.
Diese
von
Kundt
und
Warburg
schon
23
Jahre
früher entdeckte
[4]
Erscheinung
lieferte
in der
Tat ein
starkes Argu-
ment
für die
Molekularkinetik;
denn wie
sollte
ein mit der
Verdünnung des Gases
wachsender
Temperatursprung
zwischen Wand und Gas
ohne
Zuhilfenahme
des
der klassischen Wärme-
lehre fremden
Begriffes
der freien
Weglänge
be-
friedigend gedeutet
werden?
Um die
Überzeugung
der
Gegner
zu
wandeln,
bedurfte
es
aber eines noch
schlagenderen
Be-
weises.
Die
Existenz
jenes Temperatursprunges
war
ohne die Kinetik
zwar
kaum
zu
begreifen,
aber die Realität einer
Wärmebewegung
konnte
aus
diesem Phänomen nicht direkt
gefolgert
wer-
den.
Erst
in den
Jahren 1905-1906
gelangte
die
kinetische Wärmetheorie
zu
allgemeiner
An-
erkennung
durch
den Nachweis, daß
die
längst
entdeckte
Wimmelbewegung mikroskopisch
kleiner.
in
Flüssigkeiten suspendierter Teilchen,
die
Brownsche
Bewegung,
durch diese Theorie
quan-
titativ erklärt wird. Smoluchowski lieferte eine
[5]
besonders schöne und
auschauliche Theorie dieser
Erscheinung,
indem
er von
dem Aquipartitions-
satz
der Kinetik
ausgeht.
Dieser
verlangt, daß [6]
ein
Teilchen
von
1
u
Durchmesser (und
der
Dichte
des Wassers)
sich
in Flüssigkeit bei
ther-
modynamischem Gleichgewicht
mit einer mittle-
ren
Momentangeschwindigkeit
von
etwa
3
mm
pro
Sekunde
bewegt;
indem Smoluchowski
quan-
titativ
formuliert, daß diese Geschwindigkeit
durch innere
Reibung
beständig vernichtet,
durch
unregelmäßige
Molekularstöße immer wieder
her-
gestellt wird, gelangt
er zur
Erklärung des
Phä-
nomens.
Durch die
Erkenntnis
vom
Wesen der Brown-
schen Bewegung
war
plötzlich jeder
Zweifel
an
der
Richtigkeit
der Boltzmannschen
Auffassung
der
thermodynamischen
Gesetze
geschwunden.
Es
war
klar,
daß
es
ein
thermodynamisches
Gleichgewicht
genau genommen
überhaupt
nicht
gibt, daß
vielmehr
jedes
dauernd
sich
selbst über-
lassene
System
um
den
Zustand
des
idealen ther-
modynamischen Gleichgewichtes in unregelmäßi-
gem
Wechsel pendelt.
Da
jedoch, wie
die
all-
gemeine
Theorie
zeigt, jene Schwankungen
nur
gering sind,
so
müssen sie
sich
unserer
Beob-
achtung
im
allgemeinen
entziehen. Es
gelang
aber Smoluchowski im Jahre
1908,
eine
zweite
Gruppe
von
beobachtbaren Phänomenen
zu
fin-
den,
in welchen jene Schwankungen
fast
un-
mittelbar
zur
Wirkung
kommen,
nämlich
bei der
Opaleszenz
von
Gasen und
von
Flüssigkeiten
in
der
Natur
des
kritischen Zustandes. Je
kom-
pressibler
nämlich eine
Substanz
bzw.
ein
Mischungsbestandteil
einer
solchen ist,
desto
größer
sind die örtlich-zeitlichen
Schwankungen,
welche
die Dichte
in unablässigem
Wechsel in-
folge
der
Unregelmäßigkeit
der
Wärmebewegung
erfahren
muß;
Smoluchowski
erkannte, daß diese
Schwankungen
eine
optische Trübung
der Sub-
stanzen im Gefolge
haben
müssen, die
sich auf
Grund der
allgemeinen
Theorie berechnen läßt.
Auch
das
schon
von
Lord
Rayleigh
erklärte Blau
des
Himmels
gehört
in diese
Erscheinungsgruppe
und
beweist
die Existenz
räumlicher
Dichte-
schwankungen
in der
Luft.
Smoluchowskis
übriger
wissenschaftlicher
Arbeiten kann hier im einzelnen nicht
gedacht
werden. Es
sei
aber
an
die beiden vortreff-
[7]
Nw.
1917. 107
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