DOC.
29
ERNST MACH
279
102
Ernst Mach
+.
Physik.
Zeitschr. XVII,
1916.
haupt
verloren.
So ist
es
schwer,
und auch
gar
nicht
so
wesentlich, die Fragen
zu
beant-
worten:
"Was
hat Mach
gelehrt,
was
gegen-
über Bacon
und Hume
prinzipiell neu
wäre?"
"Was
unterscheidet ihn wesentlich
von
Stuart
Mill,
Kirchhoff,
Hertz, Helmholtz,
was
den
allgemein
erkenntnistheoretischen
Standpunkt
gegenüber
den Einzelwissenschaften
anlangt?"
Tatsache
ist,
daß Mach durch seine historisch-
kritischen
Schriften, in
denen
er
das Werden
der Einzelwissenschaften
mit
so
viel Liebe
ver-
folgt
und
den einzelnen auf dem Gebiete bahn-
brechenden
Forschern
bis ins
Innere ihres Gehirn-
stübchens
nachspürt,
einen
großen
Einfluß auf
unsere
Generation
von
Naturforschern
gehabt
hat. Ich
glaube sogar,
daß
diejenigen,
welche
sich
für
Gegner
Machs
halten,
kaum
wissen,
wieviel
von
Machscher
Betrachtungsweise
sie
[2] sozusagen
mit der Muttermilch
eingesogen
haben.
Nach Mach
ist
Wissenschaft nichts
anderes,
als Vergleichung
und
Ordnung
der
uns
tatsäch-
lich gegebenen
Bewußtseinsinhalte nach
gewissen,
von
uns
allmählich
ertasteten
Gesichtspunkten
und Methoden.
Physik
und
Psychologie
unter-
scheiden
sich also
voneinander nicht
in
dem
Gegenstande,
sondern
nur
in
den
Gesichtspunk-
ten
der
Anordnung
und
Verknüpfung
des Stoffes.
Als
seine
wichtigste Aufgabe
scheint
es
Mach
vorgeschwebt
zu
sein,
an
den
von
ihm beherrsch-
ten
Einzelwissenschaften
darzutun, wie sich
diese
Ordnung
im einzelnen
vollzogen
hat.
Als Re-
sultate
der
Ordnungstätigkeit ergeben sich die
abstrakten
Begriffe
und
die
Gesetze
(Regeln)
ihrer
Verknüpfung.
Beide werden
so
gewählt,
daß
sie
zusammen
ein
ordnendes Schema
bilden,
in
welches
sich
die
zu
ordnenden
Gegebenheiten
sicher und übersichtlich einreihen lassen.
Be-
griffe
haben
nach
dem
Gesagten
nur
Sinn,
so-
fern
die Dinge aufgezeigt
werden
können,
auf
die sie sich beziehen, sowie die
Gesichtspunkte,
gemäß
welchen
sie
diesen
Dinge zugeordnet
sind
(Analyse
der
Begriffe).
Die
Bedeutung
solcher
Geister, wie
Mach,
liegt nun keineswegs
nur
darin,
daß
sie
gewisse
philosophische
Bedürfnisse der
Zeit
befriedigen,
die
der
eingefleischte
Fachwissenschaftler
als
Luxus
bezeichnen
mag. Begriffe,
welche sich
bei
der
Ordnung
der
Dinge
als nützlich
er-
wiesen
haben,
erlangen
über
uns
leicht eine
solche Autorität,
daß
wir
ihres irdischen
Ur-
sprungs vergessen
und
sie als
unabänderliche
Gegebenheiten
hinnehmen.
Sie
werden dann
zu
"Denknotwendigkeiten",
"Gegebenen
a
priori"
usw.
gestempelt.
Der
Weg
des wissenschaft-
lichen
Fortschrittes wird durch solche Irrtümer
oft für
lange Zeit
ungangbar gemacht.
Es ist
deshalb durchaus
keine
müßige
Spielerei,
wenn
wir darin
geübt werden, die längst
geläufigen
Begriffe
zu
analysieren
und
zu
zeigen,
von
wel-
chen Umständen ihre
Berechtigung
und
Brauch-
barkeit
abhängt, wie sie
im
einzelnen
aus
den
Gegebenheiten
der
Erfahrung
herausgewachsen
sind. Dadurch wird ihre
allzu
große
Autorität
gebrochen.
Sie
werden
entfernt,
wenn
sie sich
nicht ordentlich
legitimieren können, korrigiert,
wenn
ihre
Zuordnung
zu
den
gegebenen Dingen
allzu
nachlässig war,
durch andere
ersetzt,
wenn
sieh
ein
neues System
aufstellen
läßt,
das wir
aus
irgendwelchen
Gründen vorziehen.
Derartige Analysen
erscheinen dem Fach-
wissenschaftler,
dessen
Blick
mehr auf das Ein-
zelne
gerichtet ist,
meist
überflüssig, gespreizt,
zuweilen gar
lächerlich.
Die
Situation ändert
sich aber,
wenn
einer der
gewohnheitsmäßig
be-
nutzten
Begriffe
durch einen schärferen
ersetzt
werden
soll, weil
es
die Entwicklung
der
be-
treffenden Wissenschaft erheischt. Dann
er-
heben
diejenigen, welche
den
eigenen Begriffen
gegenüber
nicht reinlich verfahren
sind, energi-
schen Protest und
klagen
über revolutionäre
Bedrohung
der
heiligsten
Güter. In dies
Ge-
schrei mischen
sich
dann
die
Stimmen der-
jenigen Philosophen, welche jenen Begriff
nicht
entbehren
zu
können
glauben,
weil sie
ihn
in
ihr Schatzkästlein des
"Absoluten"
des
"a priori"
oder kurz derart
eingereiht
hatten,
daß
sie
dessen
prinzipielle
Unabänderlichkeit
proklamiert
hatten.
Der Leser
errät
schon,
daß
ich
hier
vorzugs-
weise
auf
gewisse
Begriffe
der Lehre
von
Raum
und
Zeit,
sowie
der Mechanik
anspiele,
welche
durch
die
Relativitätstheorie eine Modifikation
erfahren haben. Niemand kann
es
den Erkennt-
nistheoretikern
nehmen,
daß
sie
der
Entwicklung
hier
die Wege geebnet haben;
von
mir selbst
weiß
ich
mindestens,
daß
ich
insbesondere durch
Hume und Mach
direkt und indirekt sehr
ge-
fördert worden bin. Ich
bitte den
Leser,
Machs
Werk:
"Die
Mechanik
in
ihrer
Entwicklung"
in die
Hand
zu
nehmen und
die
unter
6.
und
7.
im zweiten
Kapitel
gegebenen
Betrachtungen
("Newtons
Ansichten über
Zeit,
Raum und
Bewegung"
und
"Übersichtliche
Kritik der
Newtonschen
Aufstellungen").
Dort finden
sich Gedanken meisterhaft
dargelegt,
die noch
keineswegs Gemeingut
der
Physiker geworden
sind.
Diese Partien sind noch deshalb besonders
anziehend, weil sie
an
wörtlich zitierte Stellen
Newtons
anknüpfen.
Hier
einige
Rosinen:
Newton:
"Die absolute,
wahre und mathe-
matische
Zeit
verfließt
an
sich und
vermöge
ihrer Natur
gleichförmig
und ohne
Beziehung
auf
irgendeinen
äußeren
Gegenstand. Sie
wird
auch mit dem
Namen Dauer
belegt."
"Die relative,
scheinbare und
gewöhnliche
Zeit ist ein
fühlbares und
äußerliches,
entweder
[3]