DOC.
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DIALOGUE ABOUT RELATIVITY 115
DIE
NATURWISSENSCHAFTEN
WOCHENSCHRIFT
FÜR
DIE FORTSCHRITTE DER
NATURWISSENSCHAFT,
DER MEDIZIN
UND
DER TECHNIK
BERAUSUZUZARH
VON
DR.
ARNOLD BERLINER
UND
PROF. Dr. AUGUST
PÜTTER
Sechster
Jahrgang.
29.
November 1918
Heff
48.
[1]
[2]
[3]
Dialog über
Einwände
gegen
die
Relativitätstheorie
Von Prof. Dr.
A. Einstein, Berlin.
Kritikus: Schon
oft
haben
meinesgleichen
in
Zeitschriften Bedenken der verschiedensten Art
gegen
die
Relativitätstheorie vorgebracht;
nur
selten
aber
hat einer
von
euch Relativisten1) da-
rauf
geantwortet.
Wir wollen nicht
untersuchen,
ob Hochmut, ob
Gefühl
der Schwäche, ob Faul-
heit der Grund dieser
Unterlassung
gewesen
ist
-
vielleicht
wars
eine besonders wirksame
Mischung
dieser
seelischen
Machte;
vielleicht auch verriet
die
Kritik
nicht selten
zur
Evidenz,
daß der Kri-
tiker
gar
zu wenig
Sachkenntnis
an
den
Tag legte.
Darüber
soll
-
wie gesagt
-
nicht
gesprochen
werden;
aber
das
will ich
dir
gleich
sagen:
heute
habe
ich dich
persönlich aufgesucht,
um es
dir
unmöglich
zu
machen, dich mühelos
zu
drücken
wie
andere Male. Denn
sei versichert,
daß ich
nicht
von
der Stelle
weichen
werde,
bevor
du
mir
alle meine
Fragen
beantwortet hast.
Damit du aber nicht
gar zu
sehr
erschrickst, ja
vielleicht
sogar
mit einem gewissen
Vergnügen
an
das Geschäft
gehst (dem du
doch nicht entrin-
nen
kannst),
sage
ich dir auch
gleich
einiges Tröst-
liche.
Ich bin nicht, wie manche meiner
Kollegen,
von
der Würde meiner Gilde
so
sehr
durch-
drungen,
daß
ich
als
ein
überlegenes
Wesen
von
uberirdischer Einsicht und Sicherheit auftrete
(wie
ein Berichterstatter
über wissenschaftliche
Literatur oder
gar
ein Theater-Kritiker). Sondern
ich
rede
wie
ein sterblicher
Mensch,
zumul
ich
wohl
weiß, daß Kritik nicht selten
den Mangel
an
eigenen
Gedanken
zum
Vater hat. Auch
will ich
dir
nicht
-
wie jüngst einer meiner
Kollegen
-
wie
ein Staatsanwalt auf den Leib rücken und dir
Diebstahl
geistigen Eigentums
oder
sonstige
un-
ehrenhafte
Handlungen
vorwerfen. Nur das
Be-
dürfnis,
zur
Aufklärung einiger
Punkte beizu-
tragen, über welche die Meinungen
noch gar
weit
auseinandergehen, hat meinen Überfall veranlaßt.
Allerdings
muß ich dich
bitten,
die Veröffent-
lichung
dieses
unseres
Gespräches
zu
gestatten,
nicht zuletzt
deshalb,
weil der
Mangel
an
Papier
nicht
der
einzige Mangel ist,
welcher
meinem
Freunde, dem
Redaktor
Berolinensis,
den Schlaf
verkürzt.
Da ich
dir die Bereitwilligkeit ansehe,
gehe
ich
sofort auf das Sachliche über. Seit die
spe-
zielle Relativitätstheorie
aufgestellt
ist, hat deren
Ergebnis
über den
verzögernden
Einfluß der
Be-
wegung
auf
den Gang
einer Uhr
stets Widerspruch
hervorgerufen, und
zwar
-
wie mir scheint
-
mit
gutem
Grunde. Denn dies Ergebnis scheint
notwendig
zu
einem
Widerspruch
mit den Grund-
lagen der Theorie
zu
führen. Damit wir
uns
voll-
kommen
verstehen,
sei dies
Ergebnis
der Theorie
zunächst hinreichend scharf
angegeben.
Es
sei K
ein
galileisches Koordinatensystem
im Sinne der
speziellen Relativitätstheorie, d.
h.
ein
Bezugskörper,
relativ
zu
welchem
isolierte,
ma-
terielle Punkte sich
geradlinig
und
gleichförmig
bewegen.
Es seien ferner
U1
und
U2 zwei
genau
gleich geschaffene,
von
außen nicht beeinflußte
Uhren. Diese
gehen gleich schnell,
wenn
sie
un-
mittelbar nebeneinander oder
auch
in
beliebiger
Entfernung voneinander relativ
zu
K
ruhend
aufgestellt
werden. Ist aber eine der
Uhren,
z.
B.
U2,
relativ
zu
K
im
Zustande
gleichförmiger
Translationsbewegung,
so
soll sie nach der
spe-
ziellen
Relativitätstheorie
-
vom
Koordinaten-
system K
aus
beurteilt
-
langsamer
gehen als die
relativ
zu
K
ruhend
angeordnete
Uhr
U2.
Dies
Ergebnis
berührt
un
sich schon seltsam. Schwere
Bedenkeu bringt dasselbe mit
sich,
wenn man
sich
folgendes
wohlbekannte
Gedankenexperiment ver-
gegenwärtigt.
A
und
B
seien
zwei
voneinander entfernte
Punkte
des
Systems
K.
Zur
Fixierung
der Vor-
stellung
sei
angenommen,
daß
A
der
Anfangs-
punkt
von
K, B
ein Punkt auf der
positiven
x-
Achse sei. Die beiden Uhren
mögen
zunächst beim
Punkte
A
ruhen. Sie
gehen
dann
gleich schnell,
und
es
sei
ihre
Zeigerstellung
die
gleiche.
Wir
erteilen
nun
der Uhr
U2
eine konstante Geschwin-
digkeit im
Sinne der
positiven
x-Achse,
so
daß
sie
sich nach B hin
bewegt. Bei B
denken wir
uns
die
Geschwindigkeit umgekehrt,
so
daß
sich U2
wieder
gegen A
bewegt. Bei
A
angekommen,
wird
die Uhr
aufgehalten,
so
daß sie
nun
wieder relativ
zu U1
in Ruhe
ist. Da
die
von
K
aus
beurteilte
Veränderung
der
Zeigerstellung
von
U2,
welche
eventuell während des Geschwindigkeitswechsels
von
U2
eintreten
könnte,
sicherlich einen
gewissen
Betrag nicht übersteigt,
und da
U2 während
der
gleichförmigen
Bewegung längs der Strecke
A
B
(von
K
aus
beurteilt) langsamer geht
als
U1, so
muß
bei hinreichender Länge
der
Strecke
A
B die
Uhr
U2
nach ihrer Rückkehr
gegenüber
der Uhr
U1
nachgehen.
-
Bist du mit diesem Schluß ein-
verstonden?
Relativist:
Unbedingt
einverstanden. Mit Be-
dauern
habe
ich geschen,
daß
einige Autoren,
die
sonst
auf
dem
Boden der
Relativitätstheorie
ste-
hen
diesem unvermeidlichen Ergebnis ausweichen
wollten.
1)
Unter "Relativist" ist hier ein
Anhänger
der
physikalischen
Relativitatstheorie,
nicht des
philosophi-
schen Relativismus
zu
verstchen.
109
Nw.
1918.
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