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58. King’s College Lecture
[before 13 June
1921][1]
Eine besondere Freude ist es mir heute in der Hauptstadt jenes Landes sprechen
zu dürfen, von welcher aus die wichtigsten grundlegenden Ideen der theoretischen
Physik in die Welt gegangen
sind.[2]
Ich denke an die Theorie der Massenbewe-
gung und Gravitation, die Newton
und[3]
geschenkt hat, und an den Begriff des
elektromagnetischen Feldes, durch welchen Faraday und Maxwell der Physik eine
neue Grundlage gegeben haben. Man kann wohl sagen, dass die Relativitäts-Theo-
rie zu dem grossartigen Gedankengebäude Maxwells und Lorentz eine Art Ab-
schluss geliefert hat, in dem sie versucht, die Feldphysik auf alle Erscheinungen,
die Gravitation eingeschlossen,
auszudehnen.[4]
Indem ich dem eigentlichen Gegenstande der Relativitätstheorie zuwende, liegt
es mir daran hervorzuheben, dass dies[e] Theorie nicht spekulativen Ursprungs ist,
sondern dass sie durchaus nur der Bestrebung ihre Entdeckung verdankt, die phy-
sikalische Theorie den beobachteten Tatsachen so gut als nur möglich anzupassen.
Es handelt sich keineswegs um einen revolutionären Akt, sondern um eine natürli-
che Fortentwicklung einer durch Jahrhunderte verfolgbaren
Linie.[5]
Die Aufgaben
gewisser bisher als fundamental behandelter Begriffe über Raum, Zeit und Bewe-
gung darf nicht als freiwillig aufgefasst werden, sondern nur als bedingt durch be-
obachtete Tatsachen.
Das durch die Entwicklung der Elektrodynamik und Optik erhärtete Gesetz der
Konstanz der Lichtgeschwindigkeit im leeren Raum in Verbindung mit der durch
Michelsons berühmetn Versuch besonders scharf dargetanen Gleichberechtigung
aller Inertialsysteme (spezielles Relativitätsprinzip) führten zunächst dazu, dass
der Zeitbegriff relativiert werden musste, in-dem jedem Inertialsystem seine beson-
dere Zeit gegeben werden musste. Bei der Entwicklung dieser Idee zeigte sich, dass
früher der Zusammenhang zwischen den unmittelbaren Erlebnissen einerseits, Ko-
ordinaten und Zeit andererseits nicht mit genügender Schärfe überlegt worden
war.— Es ist überhaupt einer der wesentlichen Züge der Relativitätstheorie, dass
sie bemüht ist, die Beziehungen der allgemeinen Begriffe zu den erlebbaren Tat-
sachen schärfer herauszuarbeiten. Dabei gilt stets als Grundsatz, dass die Be-
rechtigung eines physikalischen Begriffes ausschliesslich in seiner klaren und ein-
deutigen Beziehung zu den erlebbaren Tatsachen beruht. Gemäss der speziellen
Relativitätstheorie haben räumliche Koordinaten und Zeit noch insofern absoluten
Charakter, als sie unmittelbar durch starre Körper und Uhren messbar sind.—Sie
sind aber insofern relativ, als sie von dem Bewegungszustand des gewählten
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