DOC. 13 DIALOGUE ABOUT RELATIVITY 119
Heft
48.
29. 11.
1918
Einstein:
Dialog
über
Einwande
gegen
die Relativitätstheorie. 701
Komplikationen,
in
welche
uns
die Theorie führt,
willig
auf
uns
nehmen.
Einmal bedeutet
es
für
einen
konsequent denkenden Menschen eine
große
Befriedigung, einzusehen,
daß
der Begriff der ab-
soluten
Bewegung,
dem kinematisch
kein
Sinn
zu-
erkannt werden
kann,
in die
Physik
nicht
einge-
führt
zu
werden braucht;
es
kann nicht
geleugnet
werden, daß das Fundament
der
Physik
durch
Vermeidung dieses
Begriffes
an
Folgerichtigkeit
gewinnt.
Ferner
verlangt die Tatsache der Gleich-
heit
der
Trägheit und Schwere der
Körper
gebie-
terisch nach
Aufklärung. Abgesehen
davon braucht
die
Physik
eine
Methode,
um zu
der Nahewir-
kungs-Theorie der
Gravitation
zu
gelangen.
Ohne
ein wirksam
einschränkendes
Prinzip
konnten
sich die Theoretiker
an
dieses Problem
kaum her-
anwagen,
weil
gar
viele Theorien
aufgestellt
wer-
den könnten,
die den ziemlich beschränkten Er-
fahrungen
auf
diesem
Gebiete
gerecht
werden.
Embarras de richesse ist einer
der
bösartigsten
Gegner,
die dem Theoretiker
das Leben
sauer
machen. Durch das Postulat
der
Relativität
wur-
den
die
Möglichkeiten
derart
eingeschränkt,
daß
der
Weg vorgezeichnet
war,
den die Theorie
gehen
mußte. Endlich mußte die
säkulare Peribel-Be-
wegung
des
Planeten Merkur
erklärt
werden,
deren Existenz
von
den
Astronomen sicher kon-
statiert war,'und
deren Erklärung auf dem Boden
der Newtonschen Theorie
nicht befriedigend
ge-
lingen wollte.
-
Mit der
Behauptung
der
prin-
zipiellen Gleichwertigkeit
der
Koordinatensysteme
ist
nicht
gesagt,
daß
jedes Koordinatensystem
für
die Untersuchung eines
bestimmten
physikalischen
Systems in gleichem Maße
bequem sei; dies
ist
schon
der Fall
bei
der
klassischen Mechanik.
Streng
genommen
darf
man z.
B. nicht
sagen,
die
Erde
bewege sich in einer
Ellipse
um
die
Sonne,
weil diese
Aussage ja
ein
Koordinatensystem
vor-
aussetzt, in welchem die Sonne
ruht,
während die
klassische Mechanik doch auch
Systeme zuläßt,
relativ
zu
welchen die Sonne gradlinig und
gleich-
förmig bewegt
ist. So
wenig
es
aber
jemand in
den
Sinn kommen wird, sich bei der Untersuchung
der
Erdbewegung
eines
Koordinatensystems der
letzteren Art
zu
bedienen,
so
wenig
wird
er aus
der Betrachtung
dieses
Beispiels
den Schluß zie-
hen,
die
Koordinatensysteme,
deren
Anfangspunkt
dauernd im
Schwerpunkt
des
betrachteten mecha-
nischen
Systems liegt,
seien
gegenüber jenen
an-
dern
Koordinatensystemen
prinzipiell bevorzugt.
So
ist
es
auch
bei dem
von
dir
genannten Beispiel.
Niemand wird
sich hei Untersuchung des Sonnen-
systems
eines relativ
zum
Erdkörper ruhenden
Koordinatensystems bedienen,
weil dies
unprak-
tisch wäre. Prinzipiell ist aber ein solches Koordi-
natensystem nach
der
allgemeinen Relativitäts-
theorie durchaus
gleichberechtigt
mit
jedem
an-
deren. Der Umstand, daß die Fixsterne mit
un-
geheuren
Geschwindigkeiten
umlaufen,
wenn man
ein solches
Koordinatensystem
der Betrachtung
zugrunde legt,
bedeutet kein
Argument
gegen
die
Zulässigkeit, sondern
lediglich
gegen
die Zweck-
Nw.
1918
mäßigkeit dieser
Koordinatenwahl, ebensowenig
der
komplizierte
Bau des relativ
zu
diesem
Koordi-
natensystem herrschenden
Gravitationsfeldes,
wel-
ches
z.
ß. auch den Zentrifugalkräften
entspre-
chende
Komponenten
hätte. Ähnlich verhält
es
sich mit Herrn Lenards
Beispiel.
Man darf im
Sinne der Relativitätstheorie den Fall nicht in
dem Sinne
auffassen, "daß
es
möglicherweise doch
die
Umgebung (des Zuges)
gewesen
sei,
welche
die
Geschwindigkeitsänderung
erfahren habe". Es
handelt sich nicht
um
zwei verschiedene, einander
ausschließende
Hypothesen
über den Sitz der
Be-
wegung,
sondern
vielmehr
um zwei prinzipiell
gleichwertige Arten,
denselben Sachverhalt darzu-
stellen1).
Welche
Darstellung
man zu
wählen
hat,
darüber können
nur
Zweekmaßigkeitsgrunde,
aber
nicht Argumente
prinzipieller
Art
entschei-
dend sein. Wie
wenig
es
aber
angezeigt ist,
in
solchen Dingen den
sogenannten "gesunden
Ver-
stand" als Schiedsrichter
anzurufen, zeigt folgen-
des
Gegenbeispiel.
Lenard selbst sagt,
es
hätten
sich
gegen
die Gültigkeit des
speziellen
Relativi-
tätsprinzips
(d. h. des
Relativitätsprinzips bezüg-
lich
gleichförmiger Translutationsbewegung
der
Koordinatensysteme)
bisher keine
zutreffenden
Einwände
erheben
lassen. Der
gleichmäßig
fah-
rende
Zug
könne
ebensogut
als
"ruhend",
das Ge-
leise samt der
ganzen Gegend
als
"gleichförmig
bewegt" angesehen
werden. Wird dies
der
"ge-
sunde Verstand" des Lokomotiv-Führers zulassen?
Er
wird
einwenden,
daß
er
doch
nicht die
Gegend
unausgesetzt
heizen und schmieren
müsse,
sondern
die Lokomotive, und daß
es
dementsprechend die
letztere sein müsse, in deren
Bewegung
sich die
Wirkung seiner Arbeit
zeige.
Krit.: Nach diesem Gespräch muß ich
doch
zugeben,
daß die
Widerlegung
eurer
Auffassung
nicht
so
einfach ist, als
es
mir früher
erschien.
Wohl habe ich noch manche Einwände
in petto.
Aber ich will dich damit nicht behelligen, bevor
ich
unser
heutiges
Gespräch
genau
durchdacht
habe. Bevor wir
scheiden,
noch eine Frage, die
keinen
Einwand betrifft, sondern die ich
aus
reiner Neuglerde stelle: Wie steht
es
denn jetzt
mit
dem
kranken
Mann
der theoretischen
Physik,
dem Äther, den manche
von
euch als
endgültig
tot
erklärt haben?
Rel.: Ein wechselvolles
Schicksal hat
er
hinter
sich,
und
man
kann durchaus nicht
sagen,
daß
er
nun tot
sei.
Vor
Lorentz
existierte
er
als alles
durchdringende
Flüssigkeit, als
gasähnliche
Flüs-
sigkeit
und
sonst
noch
in
den verschiedensten
Daseinsformen. verschieden
von
Autor
zu
Autor.
Mit Lorentz wurde
er starr
und
verkörperte
das
1)
Daß der Turm nicht umfallt, kommt
gemäß
der
zweiten
Darstellungsweise
daher, daß dieser
samt
dem
Boden und der
ganzen
Erde
in
einem
(während
des
Ruckes
vorhandenen)
Gravitationsfelde frei
fullt,
wäh-
rend der
Zug
durch äußere Kräfte
(Bremskräfte)
um
freien Fall verhindert wird. Ein frei fallender Körper
verhält sich
bezüglich
der inneren
Vorgänge
wie ein
allen äußeren Einflüssen
entzogener,
frei schwebender
Körper.
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