DOC. 57 HOW
I
BECAME
A
ZIONIST 427
[p.
351]
Wie
ich
Zionist wurde
Von
Albert Einstein
Nachdruck
auf
tall Quellenangabe.)
Bis
vor
einer Generation betrachteten sich die
Juden Deutschlands
nicht als
Angehörige
des
jüdi-
schen Volkes. Sie fühlten sich
lediglich
als Mit-
glieder
einer
Religionsgemeinschaft
und viele
von
ihnen stehen noch heute auf diesen
Standpunkt.
Sie sind in der Tat
viel
assimilierter als
die
russi-
schen
Juden.
Sie
sind
in
gemischte
Schulen
ge-
gangen
und haben
sich
dem deutschen Volks- und
Kulturleben
angepaßt.
Dennoch und
trotz
der offi-
ziellen
Gleichberechtigung,
die
sie
genießen,
be-
steht
ein kräftiger
sozialer
Antisemitismus. Und
es
sind
gerade
die
gebildeten
Kreise,
die sich
zum
Träger der antisemitischen
Bewegung gemacht
haben.
Sie haben
sogar
eine
"Wissenschaft"
des
Antisemitismus
aufgebaut,
während die
Gebildeten
Rußlands,
zumindest
vor
dem
Kriege,
im allge-
meinen
philosemitisch waren
und
häufig
ehrliche
Anstrengungen machten,
die antisemitische Bewe-
gung
zu
bekämpfen.
Das
hängt
mit verschiedenen
Ursachen
zusammen.
Zum Teil hat diese Erschei-
nung
ihre Ursache
darin,
daß
die
Juden
einen weit
über ihre Zahl
hinausgehenden
Einfluß auf das
geistige
Leben des deutschen Volkes ausüben.
Während
man
nach meinem
Dafürhalten die öko-
nomischen Positionen der deutschen
Juden gewaltig
überschätzt,
ist
in
der
Tat
der Einfluß der
Juden
auf
Presse,
Literatur und Wissenschaft in Deutsch-
land
sehr
stark und
drängt
sich
auch dem ober-
flächlichen Beobachter auf. Es
gibt
sehr viele,
die
eigentlich
keine Antisemiten sind und
in
ihrer
Argumentation
ehrlich sind. Sie betrachten die
Juden
als eine
von
der deutschen verschiedene
Nationalität und fühlen
sich
darum durch
den wach-
senden
jüdischen
Einfluß
in
ihrer nationalen
Eigen-
art
bedroht. Wiewohl vielleicht der Prozentsatz
der
Juden
in
England zum
Beispiel
nicht
viel
un-
bedeutender ist als
in
Deutschland, üben die
eng-
lischen
Juden
sicherlich nicht die
gleiche
Wirkung
auf die
englische
Gesellschaft
und
Kultur
aus,
ob-
wohl ihnen dort die höchsten amtlichen Stellen
zugänglich
sind und ein
Jude
-
was
in
Deutschland
nahezu
undenkbar ist
-
zum
obersten Richter oder
zum
Vizekönig
Indiens
ernannt
werden kann.
Vielfach ist der Antisemitismus eine
Frage poli-
tischen Kalküls. Es
hängt
oft
nur von
der Partei
ab,
der
jemand angehort,
ob
er
sich
zum
Anti-
semitismus bekennen wird.
Ein
Sozialist
wird,
auch
wenn
er
ein
überzeugter
Antisemit
ist,
seine Ge-
sinnung
nicht bekennen
oder
betätigen,
weil dies
nicht
in
das
Programm
seiner Partei
paßt.
Bei den
Konservativen wiederum
entspringt
der
Antisemi-
tismus oft
nur aus
dem Wunsch nach der Aus-
nützung
von
Instinkten, die
in
der
Bevölkerung
vorhanden sind. In einem Lande wie
England,
wo
der
jüdische
Einfluß kleiner und die Reaktion
der
Nichtjuden
darum viel
geringer
ist,
hemmt
der Bestand
alter, eingewurzelter
liberaler
Tradi-
tionen das schnelle Wachstum des
Antisemitismus.
Ich
sage
das,
ohne
mich auf
persönliche
Kenntnis
des Landes berufen
zu
können.
Ich
war
nie
in
England*).
Dennoch
war
schon die
Haltung,
welche
die
englische
Wissenschaft und Presse
gegenüber
meiner Theorie
einnahmen,
recht kennzeichnend.
Während
im allgemeinen in
Deutschland die
Be-
urteilung
meiner Theorie
von
der Parteistellung
der Blatter
abhing,
hat die
Haltung
der
englischen
Wissenschaftler
bewiesen,
daß ihr Sinn
für
Ob-
jektivität
sich
nicht
durch
politische
Gesichts-
punkte
trüben
läßt. Die
Englander
haben
-
was
ich hier
hinzufügen
möchte -
überhaupt
auf die
Entwicklung unserer
Wissenschaft
in
hohem
Maße
eingewirkt
und die
Prüfung
der Relativitätstheorie
mit besonderer
Energie
und
besonderem
Erfolg in
Angriff genommen.
Während
in
Amerika der Anti-
semitismus nur
gesellschaftliche
Formen
annimmt,
macht sich
in
Deutschland
der
politische
Antisemitis-
mus
noch
viel
stärker als der
gesellschaftliche
be-
merkbar. Ich sehe
die Sache
so an,
daß die
Tatsache
der rassenhäften Besonderheit der
Juden not-
wendigerweise
ihre
gesellschaftlichen Beziehungen
zu
den
Nichtjuden
beeinflussen muß. Die Konse-
quenz,
die die
Juden
m.
E.
daraus ziehen
müßten,
ist der Tatsache
ihrer
Besonderheit
in ihrer sozialen
Lebensweise und ihren kulturellen
Leistungen
Rech-
nung
zu
tragen.
Zunächst
müßten sie eine
gewisse
vornehme Zurückhaltung
zur
Schau
tragen
und nicht
so
sehr auf eine
gesellschaftliche
Vermischung er-
picht sein,
von
der die anderen
nichts
oder
sehr
wenig
wissen
wollen. Andererseits hat der
Antisemitismus in
Deutschland
Wirkungen,
die
man vom
judischen
Standpunkt begrüßen
sollte.
Ich glaube,
daß das
*)
Der Artikel ist während
Prof. Einsteins Anlenthalt
in Amerika,
solin
vor seinem Besuch in
England ge-
schrieben.
-
A.
d. R
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