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HOW
I
BECAME
A
ZIONIST
[p.
352] deutsche Judentum dem Antisemitismus seinen Fort-
bestand verdankt. Die
religiösen Formen,
welche
früher die
Vermischung
der
Juden
und ihre Auf-
lösung in
ihre
Umgebung
verhindert
haben,
sind
mit dem
wachsenden Wohlstand
und
der wachsen-
den
Bildung im
Schwinden
begriffen.
So bleibt
nichts
anderes
als dieser
Gegensatz
zur
Umgebung
übrig,
den
man
als Antisemitismus
bezeichnet,
der
eine
Trennung im gesellschaftlichen
Leben herbei-
führt. Ohne diesen
Gegensatz
würde
die
Ver-
mischung
der
Juden
in Deutschland schnell und
ungehindert vor
sich
gehen.
Ich
habe das
an
mir selbst beobachtet.
Bis
vor
sieben
Jahren lebte ich in
der Schweiz und
solange ich
dort
war, war ich
mir meines
Judentums
nicht bewuBt und
war
nichts
in meinem Leben
vorhanden,
das auf
meine
jüdische Empfindung
gewirkt
und sie belebt
hätte
Das änderte
sich,
sobald ich
meinen Wohusitz nach Berlin
verlegte.
Dort
sah
ich
die Not vieler
junger
Juden. Ich sah,
wie ihnen
durch ihre antisemitische
Umgebung un-
möglich
gemacht wurde,
zu
einem
geordneten
Studium
zu gelangen
und sich
zu
einer
gesicherten
Existenz
durchzuringen.
Insbesondere gilt das
von
den
Ostjuden,
die unaufhörlich Schikanen
ausgesetzt
sind.
Ich glaube nicht,
daß ihre Zahl
in
Deutschland
eine
grobe
ist. Nur
in
Berlin
gibt
es
vielleicht eine
größere
Anzahl. Dennoch ist
ihre Anwesenheit
zu
einer
Frage geworden,
welche die deutsche Oeffent-
lichkeit in
wachsendem
Grade
beschäftigt.
In Ver-
sammlungen, Konferenzen, Zeitungen
drangt
man
auf ihre rasche
Entfernung
oder
Internierung.
Man
gebraucht
die
Wohnungsknappheit
und die wirt-
schaftliche
Depression
als
Argumente zur Begrün-
dung
dieser harten
Forderungen.
Man
übertreibt
diese Tatsachen
geflissentlich,
um
die öffentliche
Meinung gegen
die
ostjüdischen
Einwanderer
zu
stlmmen. Man macht die
Ostjuden
zum
Sünden-
bock für
gewisse
Gebrechen des
heutigen
deutschen
wirtschaftlichen
Lebens, die in Wahrheit Nach-
wehen
des
Krieges
sind. Die
Stellungnahme
gegen
diese
unglücklichen
Flüchtlinge,
die sich
aus
der
Hölle,
die
Osteuropa
heute
bedeutet,
gerettet haben,
ist
zu
einem wirksamen
politischen
Kampf,
mittel
geworden,
das
von Demagogen erfolgreich
angewendet
wird. Ich
habe,
als Maßnahmen
gegen
die
Ostjuden
von
der
Regierung erwogen
wurden,
eine Lanze
für sie
gebrochen
und
im "Berliner
Tageblatt" auf die Unmenschlichkeit und Unver-
nunft dieser
Maßregeln hingewicsen.
Zusammen mit
einigen Kollegen,
Juden
und
Nichtjuden, veranstaltete
ich
Universitatskurse für
Ostjuden,
und
ich möchte
hinzufügen,
daß wir
in
dieser
Tätigkeit
die offizielle
Anerkennung
und
volle
Unterstützung
seitens des Unterrichtsministeriums
genossen.
Diese und ähnliche
Erlebnisse haben
in
mir
das
jüdische
nationale Gefühl
geweckt. Ich
bin nicht
in dem Sinne nationaler
Jude,
daß ich die
Erhaltung
der
jüdischen
oder
irgendwelcher
Nationalität als
Selbstzweck fordere. Ich betrachte vielmehr die
jü-
dische Nationalität als eine Tatsache
und bin der
Meinung,
daß
jeder Jude aus
dieser Tatsache die
Konsequenzen
ziehen muß.
Ich
erachte die
Hebung
des
jüdischen Selbstbewußtseins auch
im
Interesse
eines
natürlichen Zusammenlebens mit den Nicht-
juden
fur erforderlich.
Das
war
das
Hauptmotiv
meines
Anschlusses
an
die
zionistische
Bewegung.
Für mich ist der Zionismus nicht etwa
bloß
eine
auf Palästina
gerichtete
kolonisatorische
Bewegung.
Die
jüdische
Nation ist eine
lebendige
Tatsache
in
Palästina sowohl wie
in
der
Diaspora
und das
jüdische Nationalgefühl
muß überall,
wo
Juden
wohnen, lebendig
erhalten werden. Die
Ange-
hörigen
eines
Stammes
oder Volkes
müssen
unter
den
heutigen
Lebensverhältnissen ein
lebendiges
Stammesbewußtsein
haben,
um
nicht
haltlos
und
würdelos
zu
werden. Die
ungebrochene
Lebens-
kraft der Massen des amerikanischen Judentums
hat mich erst deutlich
erkennen lassen,
wie
ange-
kränkelt
das
deutsche
Judentum
ist.
Wir
leben
in
einer Zeit der
Uebertreibung
des
Nationalismus und müssen als kleine Nation diesem
Umstande
Rechnung tragen.
Aber mein Zionismus
schließt nicht
kosmopolitische Anschauungen aus.
Ich
gehe von
der Realität
der
jüdischen
Nationalität
aus
und
glaube,
daß
jeder Jude
Pflichten
gegenüber
seinen
Mitjuden hat.
Die
Bedeutung
des Zionismus
ist übrigens
vielfacher
Art.
Er cröffnet heute vielen
Juden,
die
in
der
ukrainischen Hölle schmachten
oder
in
Polen
ökonomisch
verkommen,
Aussichten
auf eine
menschenwürdigere
Existenz. Durch
die
Zurückführung
der
Juden
nach Palästina und ihre
Rückkehr
zu
einem
gesunden,
normalen Wirtschafts-
leben bedeutet der
Zionismus eine
produktive
Tätig-
keit,
welche die menschliche
Gesellschaft
bereichert.
Aber die
Hauptsache ist,
daß
der Zionismus die
für die Existenz
der
Juden
in der
Diaspora
not-
wendige
Würde und ihr
Selbstgefühl
stärkt
und
durch das
jüdische
Zentrum in Palästina
wieder
ein starkes Bindemittel schafft,
das den
Juden
Halt
gibt.
Ich habe die würdelose
Anpassungssucht
vieler meiner
Standesgenossen
immer als sehr
ab-
stoßend
empfunden.
Durch die
Gründung
eines
freien
jüdischen
Gemeinwesens in Palästina
wird das
jüdische
Volk
wieder
in
die
Lage
kommen,
seine schöpferischen
Fähigkeiten
zu
ungehinderter
und
voller Entfal-
tung zu
bringen.
Durch die Errichtung
der hebräi-
schen
Universität und
ähnlicher Institute
wird das
jüdische
Volk nicht bloß seine eigene
nationale
Renaissance herbeiführen,
sondern
die
Möglichkeit
haben,
auf freierer Basis
zum
geistigen
Leben der
Welt
beizutragen
als bisher.
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